Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest
Worte wie
heimelig
,
GotthabSieselig
oder
GehabenSiesichwohl
, wo er sonst eher einen rauhen Ton an den Tag legte, also Sachen sagte wie:
Jetzt ziehen Sie mal nicht so einen Flunsch!
oder:
Kommen Sie mal in die Puschen!
So lernte ich, daß sich die Mundarten einiger Menschen zu Weihnachten ändern können, bevorzugt, wenn sie Familie haben. Notgedrungen spannte ich schließlich eine dürre Lichterkette vor mein ungeputztes Fenster und wartete auf das erste Klingeln.
Und bald staksten sie über meinen Teppich, Studentinnen, |67| Chinesinnen, Mütter mit Kind und ohne, aus Bayern, Polen und eine aus Guadeloupe, ein Siebzehnjähriger und ein ehemaliger Berufsoffizier, und ich sagte Glasvitrinen hier, Scheuerleisten da, und mit dem Parkett in den Verkaufsräumen bitte besonders vorsichtig und notierte alles heimlich auf einer Rangliste. Die eine war mir zu eifrig, die andere zu unterwürfig, der dritte nicht vorsichtig genug. Dann kam eine Designerin. Sie war arbeitslos und hatte als Endvierzigerin keine Aussichten mehr. Das war für mich ein ganz schwieriger Gedanke: Eine Designerin schrieb ihre Entwürfe jetzt mit dem Lappen in den Staub.
Ich dachte an die Sprachgepflogenheiten meines Chefs und sagte ihr
GehabenSiesichwohl
ab.
Als ich mich erschöpft mit einem Red Bull aufs Sofa setzen wollte, stand die einundzwanzigste, nämlich Sonja, in meiner Tür. Erst fiel mir nichts weiter an ihr auf. Aber ich hätte es mir denken können. Meine Freundin war schon immer erfinderisch.
Ich bat Sonja ahnungslos herein, setzte sie wie alle anderen mir gegenüber, so daß das Licht vom Fenster voll auf ihrem Gesicht landete, mich selbst aber im Dunkeln ließ, und sagte: »Na dann mal los. Alter, Beruf und wieso sind Sie hier?«
Das war keine besonders intelligente Frage, aber man mußte den Gesprächspartner kommen lassen, immer erstmal kommen lassen, und auf die Körpersprache achten, so hatte man es mir im Gesprächscoaching beigebracht.
»Also«, sagte ich, eine Spur munterer, wobei mein Blick auf ihre Dreihundert-Euro-Stiefel fiel. »Dann kommen wir doch mal zu Ihren Qualifikationen.« Dank des Coachings war ich immer noch hellauf begeistert, als wäre sie die erste Putzfrau, die ich im Leben sah.
Nach einer Weile tiefsten winterlichen Schweigens, das |68| so lange dauerte, als wäre es staatlich gefördert worden, flüsterte Sonja rauh und mit einem slawischen Akzent: »Ich komme wegen der Botschaft.«
»Welche Botschaft?« Wir waren ein Unternehmen, das keinerlei Kontakte ins Ausland unterhielt. Aber da stand Sonja bereits auf, strich sich die Hosenbeine glatt und sagte: »Na, wenn Sie das Codewort nicht kennen, kann ich da nichts machen.«
Ich setzte den Red Bull ohne einen einzigen geflügelten Gedanken ab. Alles, was ich spürte, war eine leichte Verbretterung in der linken oberen Hemisphäre, eine Lähmung in bezug auf die wichtigen Dinge des Lebens, fiebrig dachte ich an meinen Chef und ob er noch etwas gesagt haben mochte, was einem Codewort gleichkam, das im Notfall zu verwenden war, und stieß dann heftig hervor: »Heimelig.«
Sonja, die schon an der Tür war, drehte sich um. »Bitte?« Nie hatte ich ein solches Grinsen gesehen, voller Verachtung, nie hatte ich mich in einem ungünstigeren Moment verschluckt. »Äh, ich meine, Heimweg, ich wünsche Ihnen einen, äh, angenehmen Heimweg, gute Nacht, schöne Ferien, äh und gehabenSiesichwohl, jaja.«
»Nu choroscho«, sagte Sonja. »Schade, schade.« Und war aus der Tür.
Ich krachte in meine Couch, daß die Tannenzweige, die ich zwischen die Sitzkissen gestopft hatte, wippten. Ich hatte unter zwanzig Putzfrauen keine passende gefunden, und bei der einundzwanzigsten hatte ich es versaut, und mein Chef würde mich auf ein Azubigehalt herunterstufen.
Ratlos bohrte ich neue Kerzen in den Adventskranz, dachte über Botschaften im allgemeinen, die Weihnachtsbotschaft im besonderen und vor allem über mein Schicksal nach, das mich immer kurz vor Weihnachten ins Verderben |69| stürzte, und an all die Radio- und Fernsehjingles, die mein Verderben werbewirksam einsetzten, und hätte jetzt gern meine Freundin vom Dorf um Rat gefragt. Sie hatte zwar ein neues Handy, aber sie hob nicht ab. Und wahrscheinlich hätte sie nur gesagt: »Na, da haste ja wieda ma voll ins Klo jegriffen, wa!«
Ich sah also den Kerzen beim Abbrennen zu und weinte leise vor mich hin. Aber weil das irgendwann wieder aufhörte, bemerkte ich, als ich hinaus in den Flur ging, ein Handy auf dem
Weitere Kostenlose Bücher