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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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es war kein Sonnenstudiobraun, es sah aus, als käme er von einer südlichen Küste, und schon sah ich einen ganzen Harem kopfbedeckter Frauen unter seiner Aufsicht aus dem Fernsehturm marschieren.
    Wahrscheinlich hielt er unten Wache, während oben die Geiselnahme lief.
    »Loslassen, sag ich!«
    »Ihnen geht es dreckig, was? Das sehe ich doch. Es wird Zeit, daß Sie jemand tröstet«, sagte er sanft, ohne meinem Blick auszuweichen. Erst, als ihm ein Tropfen von der Kapuze aufs Augenlid glitt, blinzelte er.
    »Keine Sorge«, piepste ich, »das geht vielen so.«
    Er sah mich mitleidig an.
    »Ich schlage vor, daß wir erstmal etwas trinken gehen«, sagte er.
    Und automatisch fing ich an, »aber ich gehe sowieso schon dauernd was trinken« zu sagen, »warum wollen eigentlich |128| alle immerzu was trinken gehen, woher nehmen die alle die Zeit und das Geld, dauernd was trinken zu gehen   –«
    »Sie lehnen meine Einladung ab?« Es klang drohend. Wir waren in das Innere des Turms vor den Fahrstuhl gelangt, der Mann stellte seinen Fuß in die Tür. »Ich habe das aus Liebe gemacht.«
    »Sagen Sie mal, was   –«
    »Was das ist? Ich sag es Ihnen. Liebe bedeutet, jemandem, der nicht existiert, etwas zu geben, was man nicht hat.«
    »Von dem, was man nicht hat, habe ich schon jede Menge!«
    »Wie alle anderen auch«, sagte er, während er mich sanft ins Innere des Fahrstuhls schob. »Seien Sie nicht leichtfertig. Denken Sie darüber nach.«
    »Jemandem, der nicht existiert?« sagte ich nach einem Moment großer Stille erschrocken. »Meinen Sie damit mich?«
    Er lachte leise.
    »Gut«, sagte er. »Wir sehen uns oben.«
    Die Fahrstuhltür schloß sich. Der kleine Schaffner, fast noch ein Junge, der auf einem Hocker in der Ecke saß, sah mich nicht an. Er trug eine Nußknacker-Uniform, bediente die Knöpfe und sagte jedesmal, wenn er einen drückte: »Too much rain over paradise«. Oben wünschte er mir viel Glück und Spaß beim Runtergucken, und unter normalen Umständen hätte ich den auch gehabt.
    So aber ging ich sofort nach dem Aussteigen in Deckung. Ich stellte mich sprungbereit an die Eingangstür. Ich machte es wie die Helden in Comics; locker in den Knien, damit im richtigen Moment meine Beine mit Schwung unter mir durchdrehten.
    |129| Die Außenbahn des Turms, dort, wo die Cafétische waren, umkreiste beständig den Mittelpunkt der Kugel. Das ganze Café wäre innerhalb einer Stunde einmal schön übersichtlich an mir vorbeigedreht, aber bis dahin konnte meine Freundin gequält, stranguliert, erschossen worden sein, und meine Oberschenkelmuskeln verkrampften sich. Als die Kellnerin auf ihrer Tour vorbeigekommen war, schlich ich mich hinter die Theke.
    Meine Freundin saß nah an einem der Panorama-Fenster. Sie zog gedankenverloren einen Teebeutel durch den Tee. Gedankenverloren oder als Camouflage, dachte ich.
    Als sie auf Höhe der Theke war, landete ich mit einem Satz unter ihrem Tisch. Dort tippte ich dreimal an ihre Wade, ein Zeichen, das sie, obwohl wir es gar nicht ausgemacht hatten, hoffentlich erkennen würde. Aber kaum hatte ich ihr meinen Kopf auf den Schoß gelegt, knallte sie mir vor Schreck ihr Knie ans Kinn.
    Sie tauchte zu mir herab. Unter der Tischplatte ähnelte ihr Blick dem des einsamen Hirten, der zum ersten Mal den Engel sieht, so ein inneres Glasen, ein Auskugeln der Pupillen, wie es eben auftreten kann, wenn man den eigenen Augen nicht traut.
    »Mensch du«, sagte sie dann. »Jut, daß de jekommen bist. Wo dit Jahr mit mir jetzt noch voll inne Binsen jeht. Zosch, krawumm.« Sie zog mich in den Sitz neben sich.
    »Wo sind sie?«
    »Wer?«
    »Die Kidnapper.«
    »Watn für Kidnäppa?« sagte meine Freundin und zog weiter ihren Beutel durch den Tee.
    »Die Geiselnehmer, die Attentäter, Terroristen, was weiß ich, jetzt fang doch nicht an, um Worte zu feilschen! Und seit wann trinkst du Tee?«
    |130| »Jehört allet dazu«, sagte meine Freundin. »Jehört allet dazu, ruckidigu.«
    »Vielleicht schaffen wirs zum Notausgang!«
    Sie schien nicht in Eile, was mich mißtrauisch machte.
    »Sag mal, ist das alles eine Finte? Irgendein neuer idiotischer Trick? Weißt du eigentlich, daß so was dazu führt, daß dir niemand mehr zu Hilfe kommt, wenn du mal ernsthaft welche brauchst?« zischte ich.
    »Sschhhhtt, stöhn, ächz, mach doch nich allet noch schlimma. Ick hab mich schon tief jenug inne Bredouille jeritten, kanaster, alabaster.«
    »Mußt du eigentlich dauernd wie eine Sprechblase reden?« Ich

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