Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest
Ein Teil von ihr.
Sie wird bewundern müssen, wie sich ihr jemand so ununterscheidbar anverwandeln kann.
Und vielleicht, wenn sich die Wellen wieder gelegt haben und sie Zeit zum Nachdenken hat, wird ihr das gut gefallen.
Es wäre ein wunderbares Weihnachtsgeschenk.
|122| Zosch, krawumm
Es war einer dieser verregneten Vorweihnachtstage, an denen das Laub matschig an den Gehwegkanten klebte und die Reste von Plastikbechern einer Party von letzter Nacht in den Rinnsteinen schwammen. Es war einer von diesen Nachmittagen, an denen man Ausreden braucht, um Verabredungen zu kündigen, weil man nicht hinausgehen will, weil hinauszugehen nicht in Frage kommt bei diesem Sprühregen, der unmerklich die Mäntel durchweicht und das Wasser vom Kragen in die einzige freie Stelle zwischen Schal und Rollkragenpullover in den Nacken jagt, es war so ein Frühdezembertag, an dem das innere Grau und das von draußen exakt korrelierten, ein Fremdwort, das mein Sachbearbeiter auf dem Arbeitsamt bevorzugt benutzt,
ich kann nichts für Sie tun, solange Ihre Ansprüche nicht mit unseren Angeboten korrelieren, aber das nächste Mal verdonner ich Sie zu einem Ein-Euro-Job!
Das nächste Mal war heute, und dieses nächste Mal sagte ich ohne Ausrede ab.
Mein Bruder hat schon zweimal gefragt, warum er mich, wenn er anruft, immer zu Hause erwischt, und als er das dritte Mal fragte, wußte ich, gleich kommt die Wahrheit ans Licht. Seit zwei Jahren fehlt mir ein Job. Das ist |123| nicht gut, wenn man ein normales Leben hat, mit einer normalen Familie im Hintergrund, das ist nicht gut, weil ich weiß, was diese Familie dann dazu sagt. Sie denken, es ist meine Schuld. Sie denken, daß ich zu langsam bin oder nicht fleißig genug oder daß ich mir irgend etwas geleistet habe, das nicht ins Konzept meines früheren Arbeitgebers paßte. Sie denken, daß ich nicht gezeigt habe, was ich kann.
Aber das hatte ich. Das hatte man mir und meinem Bruder schon früh beigebracht. Es hat nur wenig Sinn zu erklären, daß der letzte Auftrag meines Chefs nur darauf angelegt gewesen war, mich hinauszukicken. Es hat wenig Sinn, weil diese Erklärung wie eine Rechtfertigung klingt und schnell zu einem Schuldeingeständnis verkommt. Ich hatte mir im vergangenen Jahr die Hacken abgerannt, hatte Klinken geputzt, alles Formulierungen, wie meine Freundin vom Dorf sie verwenden würde, und es hatte nichts genutzt.
Ich will jedoch nicht über persönliche Schwierigkeiten reden.
Ich will nicht darüber reden, weil mein Bruder Weihnachten harmonisch verbringen möchte und ohne Gejammer. Deine Eltern, sagt er, haben im Berufsalltag schon genug Streß.
Ja, und deine
? sage ich, als hätten wir davon zwei Paar, aber es gefällt ihm, sobald es um mich und den Weihnachtsauftrag geht, nur von meinen Eltern zu reden, so muß ich nämlich die ganze Verantwortung tragen.
Meinem Bruder wird es nicht gefallen, Teil dieser Geschichte zu sein. Das hatte er am Anfang deutlich gemacht, er möchte am Heiligabend nicht plötzlich feststellen müssen, daß er irgendwo verbraten worden sei, mit einer schiefen Vergangenheit und einem Bart, was ihm in Wirklichkeit beides nicht steht. Auch unter Pseudonym will |124| er nicht vorkommen, hatte er gesagt und dreimal nachdrücklich das tiefe C angeschlagen. Er übte für Heiligabend ein Lied.
Es läßt sich nun dennoch nicht vermeiden, da ich lieber über ihn als über meine Schwierigkeiten reden will, schließlich kommen in Abenteuergeschichten Helden vor und keine Sozialfälle.
An diesem Frühdezembertag, als das innere Grau dem von draußen entsprach, zündete ich Räucherkerzen wie Abwehrraketen an. Ich hatte mich dem Ein-Euro-Job verweigert, vielleicht mußte ich jetzt bald aus der Wohnung raus.
Das Telefon klingelte. Mein Bruder war dran.
»Gut, daß du da bist.«
»Das hast du das letzte Mal aber noch anders gesehen.«
»Hat dich jemand angerufen?« fragte er atemlos.
»Wieso? Mich ruft doch nie einer an. Und wenn einer anruft, dann nur, um mit mir was trinken zu gehen, und dann denke ich, wenn sie nur was trinken gehen wollen, wieso rufen sie dann an, warum will überhaupt alle Welt immerzu was trinken gehen, wo –«
»Hör mal –«, sagte mein Bruder.
»– wo nehmen die bloß die Zeit und das Geld her, immerzu was trinken zu gehen«, sagte ich, »immerzu auch Anlässe zu finden, was trinken zu gehen, wo man auch gut allein am Schreibtisch trinken und vielleicht auch besser denken kann als in Gesellschaft beim
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