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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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hersah, ihm war vor Aufregung das Capedach zu tief ins Gesicht gerutscht, flüsterte ich: »Sag mal, bist du dem hörig?«
    »Issa nich schön, schmatz, träum – Issa nich ein echter Schatz?«
    »Bist du auf Drogen?«
    Sie reagierte nicht. Sie hob ihren Oberkörper und bot ihn breit diesem Regencapeträger an, sie drückte ihren Busen gegen die Tischkante, damit er besser zu sehen war. Der Mann brauchte nur einen Finger zu rühren, und ihr Gesicht folgte ihm, sie hing mit Augen an ihm, die mir irgendwie blank vorkamen, so, als hätte man sie aller Tränenflüssigkeit, jeden Mitgefühls, aller Bilder und jeder Erinnerung, die jemals darin gewesen waren, beraubt, leer starrte sie ihn an und folgte gehorsam den Bewegungen seiner Lippen. Und hatte ich zuvor nicht glauben können, daß sie in Gefahr war; jetzt glaubte ich es zutiefst. Ich sah, wie sie mir verlorenging, so schlicht und auf so brutale Art, wie ich es mir nie hätte ausmalen können, sie saß noch da, sie saß dicht neben mir, aber sie war mit diesem Typ bereits gegangen. Es war die reine Gehirnwäsche, er hatte sie entführt.
    Aber dann war auch ich in Gefahr, dann ging es hier um uns beide, denn ich konnte nicht ohne meine Freundin sein.
    Ich sprang auf, bereit zu allem, auch zum Schlag, und zwar zu einem, der für den Empfänger unvergeßlich gewesen wäre, aber mein Körper sprang nicht mit. Er blieb sitzen. Er saß in leicht vorgebeugter, achtsamer Haltung da, man könnte auch sagen: interessiert zugewandt. Und dann näherte sich der Typ im Regendress meinem Ohr.
    |134| »Na, was ist. Hab ich zuviel versprochen?« Seine Stimme klang weich und schmeichelnd und ein bißchen wie würziger Zigarillorauch, und plötzlich war da so ein großes Bezirzen in meinem Kopf, ein ganzes Orchester, so daß ich hauchte, und ich glaubte es selber nicht: »Nein, im Gegenteil. Sprechen Sie weiter, hören Sie nicht auf, mit mir zu reden, ich möchte Ihnen zuhören, Ihre Stimme erinnert mich an etwas, sie erinnert mich an, sie weckt in mir so ein – so ein vertrautes – ach, wenn ich es nur genau sagen könnte...!« Woraufhin er selbstgefällig nickte und sich entfernte, um eine Bestellung aufzugeben.
    Langsam kehrte wieder Leben in die Augen meiner Freundin zurück. Ihr Körper entkrampfte sich.
    »Du bist ihm hörig«, sagte ich nochmal, meine eigene plötzliche Gehorsamkeit vertuschend.
    Meine Freundin nickte. »Dit iss aber noch nich dit janze Dilemma!« Sie klang aufgelöst, undeutlich, irgendwie betrunken, als sei sie noch nicht ganz zurück. »Du und icke, wir sind da nämlich drin.«
    »Wo?«
    »In den sein Kopp«, sagte sie, »merkste denn nüscht, meinste denn, ick mach dit aus Spaß, zosch, kicher, krawumm, verdammt noch mal, dit is der, der denkt so irre, der hat sone Sprachstörullewung, und ick weeß nich, wie ick da wieda rauskommen soll.«
    »Und was hat das mit mir zu tun?«
    »Du mußt hier wat machen, kapierste. Weil, du bist noch nicht so lange dort, du bist noch in som vorderen Cortexschniepel, während ick schon volle Kanne in sein Zirbeldrüsendings abjerutscht bin.«
    »Zirbeldrüse«, sagte ich und nahm einen Schluck vom Tee, und da kehrte auch schon der Typ im Regencape zurück. »Und ich bin da auch drin? Hm.« In dem Moment, |135| wo ich
hm
sagte, machte das auch der Typ. Mir schwindelte. Er wackelte mit der CD vor meinem Gesicht herum und murmelte dazu dauernd
hm
und
shall I follow, shall I follow
und wieder
hm, hm, hm
, als hätte er irgend etwas, von dem nur er zu wissen schien, was es war, schon immer gewußt, aber dann konnte es sein, daß ich gar nicht
hm
gesagt hatte, sondern daß auch das schon er gewesen war, und das konnte wiederum heißen, ich hätte alles, was ich gesagt hatte, gar nicht gesagt, sondern es war gesagt worden von jemand anderem, von ihm, und auch meine Freundin war nicht da und hatte nichts gesagt, sondern an ihrer Stelle war das er. Das schoß mir so durch den Kopf, von dem ich kurzzeitig auch nicht mehr wußte, ob es meiner war, während sich der Typ nah zu meiner Freundin beugte und ihr Ohrläppchen zwischen seine Lippen nahm.
    »Mensch, mach doch wat!« flüsterte sie, »ick jeh doch im Leben nicht von alleene uff son Fernsehturm, da wird mir normalerweise nur bloß schlecht, kotz, krawotz.«
    So unangenehm die Vorstellung war, in einer fremden Zirbeldrüse zu sitzen, es gelang mir nicht, mich zu rühren.
    Meiner Freundin hing das Haar wirr ins Gesicht. Jedes Zuppeln der männlichen Lippen an ihrem Ohr

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