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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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zog die Schultern ein und guckte sie böse an.
    »Dit is doch nur bloß Spaß, kicher kicher.«
    »Das ist kein Spaß. Das ist ein Defekt.«
    Sie lehnte hilflos im Sitz, und was mich angeht: niemand war mir in diesem Moment fremder als ich selbst.
    »Hier hättste früher ooch keen Platz jekriegt, hier oben, näwa äwa«, sagte sie zu ihrem Tee.
    In der Ferne wühlten sich matte Weihnachtsmarktlichter in die Nacht. Wir saßen neben einer robusten russischen Lampe, die am Tisch festgeschraubt war, auf blauen wippenden Kunstlederstühlen, die Fernsehturmkugel drehte sich.
    »Und was machen wir jetzt hier«, fragte ich, »wo ich mir nicht mal eine Suppe leisten kann?«
    »Ma kieken.«
    Wir kiekten.
    In einer Ecke ging eine Betriebsfeier ab, die Damen mit blondiertem Haar, Herren waren nicht dabei. Es gab keine Geiseln. Keine Waffen. Auch Sprengstoffgürtel hatte niemand angelegt, und mein Anschleichen hatte, wie ich jetzt feststellte, belustigtes Aufsehen erregt.
    |131| Als ich mich wütend erheben wollte, wackelte meine Freundin unmerklich mit dem Kopf und legte einen Zeigefinger an die Lippen, und so blieb ich sitzen, und wir drehten uns mit der Fernsehturmkugel mit.
    »Mein Bruder hat gesagt, die Leitung war plötzlich tot«, hauchte ich. »Wieso?«
    »Nich jeladen«, hauchte sie zurück, während sie nach allen Seiten sicherte. »Meene Batterie war runter. Sonst hätt ick dir jesacht, dasde, wenn de herkommst, uffpassen sollst. Da iss son Typ unten, der quatscht dich an, und wenn de dem auch nur einmal antwortest, biste verloren, der läßt dich nie wieda los, der verfolgt dich so lange, bissa kriegt, watta will.«
    »Zu spät«, sagte ich.
    »Ha ick mir schon jedacht.«
    »Und was will er?«
    »Irgend so ne geistige Zusammenkunft. So ne Übereinstimmung im Denken. Da fährt der voll druff ab. Redet ja sonst keena mit dem, und weilde nu schon mit dem jeredet hast, biste seine Bezugsperson, und dit Schlimme iss, der zieht dich da voll rein.«
    Als hätten wir ihn gerufen, erschien der Mann in seinem schwarzen bodenlangen Regendress in der Tür. Er sah sich um, betrachtete die Kellnerin, die der Inneneinrichtung ähnelte. Ihr Kostümchen war fernsehturmblau. Unter seinem Blick zuckte sie mehrmals völlig übertrieben mit dem Hintern, so daß die Kannen auf dem Tablett in ihrer Hand schepperten und die Schleife in ihrem Kreuz zu wippen begann, dann drehte er sich zielsicher zu unserem Tisch.
    »Siehste«, sagte meine Freundin gehetzt, »und schon is die Kacke am Dampfen.« Und ohne diesen etwas rüden Ausdruck näher erläutern zu wollen, versuchte sie aufzuspringen und über die Lehne ihres Sessels hinweg zu entkommen, |132| aber irgend etwas zog sie unweigerlich in den Sitz zurück, bog ihr den Rücken durch, stellte die Knie gerade und legte ihre Hände brav nebeneinander auf die Tischplatte. Es sah aus, als hätte sie jemand in Positur gerückt. Der Mann im Regendress hatte uns erreicht. Er hob die Augenbrauen, sie waren noch feucht von draußen. »Ich sehe, die Damen haben zu trinken. Geht es Ihnen gut?«
    »Too much rain over paradise«, sagte ich, aber es klang nicht witzig.
    Er streckte uns verschwörerisch eine Madonna-CD entgegen und führte sie dann dicht vor sein Gesicht. Einmal rechts, einmal links am C D-Rand vorbei murmelte er englische Sätze.
Him or her I shall follow
war alles, was ich aufschnappen konnte. Dann tippte er sich an die Stirn, als wolle er fragen, ob wir das jetzt verstanden hätten, und begann, ohne eine Entgegnung abzuwarten, von einer Vision zu erzählen.
    In dieser Vision wickelte sich ein erwachsener Mann von oben bis unten in Geschenkpapier ein, legte sich erwartungsvoll auf den Gabentisch, und als man ihn zu Weihnachten auspackte, zerstob er in tausend kleine glitzernde Kugeln, was sehr schön aussah.
    Er guckte meine Freundin auffordernd an.
    Und die nickte.
    Meine Freundin vom Dorf nickte, als wäre ihr Nicken an einer Strippe gezogen worden. Sie nickte, und ich bekam jetzt wirklich Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Irgend etwas stimmte hier nicht, irgend etwas lief ganz und gar nicht wie geplant, sondern gewissermaßen entgegen der Richtung der Turmkugel, weshalb mir leicht übel war. Aber meine Freundin nickte und lächelte, ihre Knie standen stramm, und ich überließ sie einen Moment ihrem |133| Schicksal, mit dem sie kommunikativ offensichtlich auf gleicher Höhe war.
    Ich sank erschöpft in die Polster. Unten blinkte melancholisch der Weihnachtsmarkt. Als der Mann nicht

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