Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
Vom Netzwerk:
Freundin einmal kämpft, kämpft sie mutig, was dazu |188| führte, daß das Garn bald nicht mehr sehr fein aussah, und wäre nicht der verhuschte Freund dazwischengekommen, der sich wie eine Schlange von hinten auf uns zuschob und uns die Stricknadelabsätze, auf denen wir nur wacklig standen, unterm Stehen wegschlug, hätte sich der Kampf zu unseren Gunsten entschieden.
    Die anderen glotzten. »Kiekse dir an, diese Mitläufer«, schrie meine Freundin vom Dorf. »Gloobt ja nich, daß euch dit Zukieken unschuldig macht!« Aber die Debatte um passive Mittäterschaft schien hier niemand wirklich zu kennen, sonst, nahm ich zu ihrem Vorteil an, hätten sie sofort eingegriffen.
    Wir wären verloren gewesen und in irgendeinem Hinterzimmer, das wie ein Kerker aussah, wochenlang bei Wasser und Brot angekettet und auf Modelgröße heruntergehungert worden, und nebenbei hätte noch jemand teuere Fotos davon gemacht, hätte sich nicht der Himmel geteilt, der in diesem Fall die Eingangstür war. Hindurch schritt der Heilige Geist, der Mann von der Küste, der zuvor offenbar unbemerkt entkommen war. Diesmal hatte er die Welle erwischt und rechtzeitig die Polizei alarmiert. Hinter ihm her lief ein Trupp schwarzer Cops.
    Die zackige Brutalität dieser Jungs machte einen starken Eindruck auf mich, auch wenn sie erstmal die Falschen festnahmen, nämlich die Frauen. Aber nachdem festgestellt wurde, daß bei ihnen außer blauen Flecken und Spuren von Fehlbehandlung des Gewebes an empfindsamen Stellen wirklich nichts zu finden war, wandten sie sich dann doch den wenigen Herren der Runde zu, zuallererst dem Helden selbst, der ja mittlerweile zerlumpt und wie ein echter Gangster aussah.
    Schnell hängten wir dem brandenburgischen Mädchen den zu Boden geglittenen Mantel des Helden um, nahmen |189| es in die Mitte und bestiegen zu dritt das schwarze Roß, das draußen neben einem Kaktus parkte. Meine Freundin kletterte auf den Fahrersitz, gab Gas, und ab ging es durch die Wüste. Als wir feststellten, daß es nur unser Glück war, das uns verfolgte, beruhigte sich der Puls, und wir ließen das Glück vor, das uns daraufhin einer kitschigen Absteige zuführte, die mit pastell getönten Wänden und Zierrat auf Kopfkissen und Toilettenpapier so angenehm einfältig aussah, daß wir beschlossen, den Rest des Advents hier zu verbringen. Das Mädchen aus Brandenburg flocht sich jeden Morgen die Zöpfe neu, wir aßen Omelett, gingen ins Kino oder liehen gemeinsam ein Surfbrett aus. Und so geschah es, daß bei zwanzig Grad und
frozen
Glühwein eine neue Phase begann. Wir hatten Freundschaft geschlossen. Von nun an würden wir zu dritt Abenteuer bestehen, und es ist klar, daß fortan anders davon erzählt werden muß. Ein Freundschaftstrio erfordert ganz neue Loyalitäten. Klar ist auch, daß die Bedingungen für die nächsten Jahre mit meinem Bruder noch einmal zu verhandeln sind.
    Während ich allerdings auf meinem Stuhl unter dem Tannenbaum, im ruhigen Licht echter Kerzen, wieder einmal die Vorleserin bin, die Füße artig nebeneinander plaziert, kommt mir dieses Erlebnis im kalifornischen Sand – wie übrigens die anderen auch – nicht mehr sehr wahrscheinlich vor.
    Nur manchmal, vor dem Einschlafen, führen halbnackte Nikoläuse Tänze auf klackernden Stricknadeln unter meiner Schädeldecke auf, und jedesmal ziehe ich die hinter den Lidern erblühende Nacht dann der lebendigen draußen vor.

|190| Schlußprotokoll
    Es scheint so, als wäre das letzte Protokoll vor Jahren entstanden. Als gehörte es in eine andere Zeit, vielleicht zu einem anderen Menschen. Normalerweise lese ich das, was ich notiert habe, nicht noch einmal durch. Das letzte Protokoll las ich doch.
    Ich las es gestern abend, nachdem ich von meinem Spaziergang zurückgekehrt war.
    Es dämmerte schon. Am Gartentor lag zwischen Resten von Silvesterknallern, Konfetti und den herabgefallenen Holzstäben gezündeter Raketen der Kopf einer Taube im Matsch. Der Schlund hing heraus. Als ich aufgebrochen war, hatte das zerfetzte Tier noch nicht da gelegen. Entweder hatte der Habicht die Taube in meiner Abwesenheit gerissen, oder der Kopf hatte zuvor beim Nachbarn vor dem Tor gelegen, und der hatte ihn, da er so zartbesaitet ist und ihn nicht wegräumen wollte, zu mir herübergeschoben. Ich holte einen Spaten und schob ihn vorsichtig unter den blutstarren Klumpen. Durch die Bewegung klappte der Schnabel auf. Ich hörte ein Krächzen, als seien die Überreste des Vogels noch einmal

Weitere Kostenlose Bücher