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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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so daß Nadeln von den Zweigen regneten. Bevor es vorangehen konnte, mußten meine Freundin und ich erstmal das elefantische Gefährt verlassen. Also taten wir das. Das Fahrzeug hielt vor einem Haus, das wie ein nachgebautes Renaissance-Schloß aussah. Düster ragte es in die Dunkelheit. Der Held sprang ab. Im Kontakt mit der Straße sah er schon nicht mehr ganz so heldisch aus. Hier und da zeigten sich Fussel auf seiner Jacke. Auch hatte er Schuppen.
    Ich hätte ihn gern gefragt, wie er zu seinem Titel gekommen war, Held der Arbeit war er ja sicherlich nicht, aber schon hatte man uns rechts und links am Ärmel gepackt und ins düstere Schloß, dessen Wände aus Pappe waren, hineinbugsiert. Innen blinkten Lebkuchenherzen, auf denen in falschem Zuckerguß Unsittliches zu lesen war. Lacksessel füllten die Räume. Es war eine teure Lokalität mit viel Rot.
    Man schob uns vor eine niedrige Bar, an der barbusige Frauen bedienten. Sie trugen Aufkleber oder Tattoos auf |186| der Haut und die Inschrift: »Ich hab auch Augen, du Arsch«, was aber, als sie servierten, niemanden interessierte. Meine Freundin sah nicht mehr sehr glücklich aus.
    Den Frauen hatte man Nikolauskostüme verpaßt, die ein Designer mit großem Abstraktionsvermögen auf die rudimentärste Form zusammengekürzt hatte. Von der nordischen Verkleidung übriggeblieben waren im Wüstenklima nur ein flauschiges, rotes Halstuch, Fesselkettchen und ein Jute-Detail, das die Schöße so plastisch verbarg, daß es sie schön enthüllte. Manchen hatte man neckisch einen Palmwedel ans Handgelenk geschnallt, eine symbolische Rute.
    Und schon gingen mit einem Wummern riesige heiße Scheinwerfer an. Schattenhaft sah ich die gesamte Belegschaft komatös verharren, und jemand schrie: »Yeah, baby, give it to me, give it to me!«
    Wir mußten ins Studio eines Playboyfotografen geraten sein, man schien die Weihnachtsausgabe vorzubereiten. Aus den Jungs unseres bulligen Jeep waren übergangslos ebenfalls ölige Stars geworden, Basecap und Jeans lagen in der Ecke, weil, so reimte ich mir zusammen, offenbar nackte Männer die Männer zum Begucken der Frauen anstacheln sollten. Kurz gesagt, uns ging es nicht gut. Wir waren außer dem Helden die einzigen, die bis zum Hals bekleidet waren. Und als ich meiner Freundin zuraunte, daß ich nicht vorhätte, das zu ändern, entgegnete sie: »Na gloobste denn, icke? Ick mach doch hier keen Schtriptease! Ick bin doch nich für nüscht zwölf Jahre lang inne Schule jerannt!«
    Ich hatte die dumpfe Ahnung, daß unsere Schulbildung hier nicht von großem Nutzen war. Der verhuschte Freund paßte uns schon mal pinke Pumps mit stricknadeldünnen Absätzen an, während er fortwährend murmelte »swim or |187| drown, swim or drown« und großzügig gemeine Gesichter schnitt.
    Während meine Freundin immer mehr in ihrer von hier aus doch sehr fern wirkenden Vergangenheit versank, »na, dafür hätte der sich früher aber ooch vor de Brijade verantworten müssen«, legte sich ein Schatten aufs Geschehen und auf mein Knie. Er gehörte einer Nikolauskostümierten. Sie trug Zöpfe. Sie hatte sich geschickt hinter einer Palme versteckt, so daß sie für die anderen unsichtbar war. Mir fiel ihre Haarpracht sofort ins Auge, da sie inmitten der gestylten weiblichen Schöpfe ganz und gar altbacken aussah. Sie flüsterte mir zu, sie sei hier falsch, sie sei nämlich Brandenburgerin. Eine fiese Finte vermutend, saß ich still auf meinem Platz. Wahrscheinlich war sie auf uns angesetzt, um uns über geschickt lancierte Heimatgefühle noch fester an dieses Fotobordell zu ketten. Aber ihre Stimme klang dringlich. Sie habe Sehnsucht nach ihren Klassenkameradinnen, flüsterte sie, und wolle hier weg, sie sei hier sowieso nur, sie wisse gar nicht wie, hineingeraten, wahrscheinlich habe man ihr etwas in den Kakao gemischt, als sie mit ihrer Austauschfamilie beim Weihnachtseinkauf war, Arsen oder Koks oder Johanniskraut, jedenfalls brauche sie Hilfe. Sie war keine siebzehn. Ich machte meiner Freundin vom Dorf einige Zeichen, die sie nicht begriff, als der längst nicht mehr positive Held im Galopp herüberkam. Er zog das Mädchen am Zopf von uns weg, in der Ferne wurde er grob.
    Das ließen wir uns nun nicht mehr bieten, und ich war froh, daß meine Freundin da wieder die Führung übernahm. Sie stieß einen Schlachtruf aus: »Du Penner, du hast wohl n Ding anner Glocke!« Und schon stürzten wir von zwei Seiten auf seinen Anzug aus feinem Garn. Wenn meine

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