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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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wiederum beruhigte. Teufel können Schauspieler, speziell die weibliche Form, nicht ausstehen.
    Ich fing also an, ein bißchen die Schauspielerin zu mimen, die mir völlig unbekannt war.
    |31| Der Fahrstuhl hielt.
    Am Eingang zum Casino stand meine Freundin vom Dorf.
    Ich starrte sie an wie eine himmlische Erscheinung, zehn Tage nichts, nur das Freizeichen im Telefonhörer, und jetzt stand sie da, als hätte sie mich erwartet. In ihrem langen, etwas schäbigen Mantel aus dem Second Hand.
    »Spiel mit mir«, sagte sie.
    Langsam kam in mir so etwas hoch wie es die drei Könige aus dem Morgenland gehabt haben mochten. Es fühlte sich an wie Wut, aber gleichzeitig fühlte ich Benommenheit und ein inneres Kitzeln wie von einem Rülpsen, das gerülpst werden will, also im Prinzip wohl eine Erleuchtung.
    »Wer hat dich geschickt?« fragte ich. »Na los, sag schon. Wer?«
    »Spiel mit mir«, sagte sie, sie machte einen Schritt auf mich zu, sie raunte: »Zwei Fünferchips um deine Ehre.«
    Da war es wieder, dieses Wort, aber diesmal aus dem Mund meiner Freundin, die, wie mir plötzlich auffiel, ein einwandfreies Hochdeutsch sprach.
    »Ich glaub, ich komme irgendwie nicht mit«, sagte ich, weinerlich, obwohl ich gerade jetzt gern fest mit den Absätzen geknallt hätte.
    Aber sie drehte sich um, lächelte mich über ihre rechte Schulter hinweg tiefsinnig an und sagte: »Na komm schon, Baby.«
    Irgendwer drückte mir drei flache Chips in die Hand, wo sie sehr schnell feucht wurden, und schob mich auf einen Roulette-Tisch zu.
    »Komm, spiel«, sagte meine Freundin vom Dorf in mein Ohr, »spiel, wir dürfen keine Zeit verlieren.«
    »Wo ist der Vermieter?« fragte ich.
    |32| »Er beobachtet dich. So, wie ich dich heute nacht beobachtet habe.«
    »Berenice?« fragte ich. Und noch einmal mit einem wahrscheinlich komplett blöden Gesichtsausdruck: »Berenice?«
    Eine Traumgestalt war mir erschienen. Sie mußte sich des Körpers meiner Freundin vom Dorf bemächtigt haben. Sie war schöner, das war klar, strahlend und irgendwie Seventies, während meine Freundin klein gebaut und mit eckigen Hüften und grauen Haaren ausgestattet war. Berenice war elegant, wenn auch ein bißchen zu retro, aber schön sah sie aus mit ihren Plateauschuhen und dem silbernen Paillettending, und ich hätte sie gern näher beguckt, wäre mir nicht klar gewesen, daß dahinter irgendwo meine Freundin war. Vielleicht hatte Berenice ihr Gewalt angetan, hatte sie brutal niedergestreckt und auseinandergerissen, gewissermaßen zerfetzt, um dann wohlig in diesen fremden Körper zu schlüpfen und die Haut um sich zu schließen, aber ehe ich mir das alles plastisch und mit Scully in der Hauptrolle ausmalen konnte, befahl Berenice, und ihre Stimme war tief:
    »Spiel, Baby. Wir haben keine Zeit.«
    Ich dachte panisch an ein Komplott. Ein Komplott zwischen dem Teufel, meinem Vermieter und dieser Frau, bei dem es gar nicht darum ging, meine Ehre wiederzugewinnen, sondern sie überhaupt erst zu verlieren. Es ging darum, meiner Freundin vom Dorf abzuschwören für so eine Scheingestalt, für einen fadenscheinigen, sirenenen Ersatz, für dieses auf retro gestylte Paillettending, und am nächsten Morgen würde ich als Schwein erwachen, weil ich dieser Verlockung dummerweise in einem flüchtigen, berauschenden Moment erlegen war. Aber wenn ich Berenice erlag, was so gut wie sicher war, da ich noch nie im |33| Leben Roulette gespielt hatte, würde meine Welt, mein kleines vertrautes Leben am Ende untergehen. Es würde verschwinden in einem einzigen großen Schluck, wie der Inhalt des überdimensionierten Cocktailglases in meiner Hand, und das Forum Hotel mitsamt seinen Roulette-Tischen und Doppelbetten rutschte in eine riesige Kehle, und ich könnte gerade noch in eine Ecke neben der Bar flüchten, mich an den Eisschrank klammern, notfalls eine halbe Flasche Whisky durch meine Kehle jagen, um dann im Einklang mit diesem Wegrutschen der Außenwelt –
    Vorher wurde ich stutzig. Weihnachten war nicht vorgesehen für den Weltuntergang, Weltuntergang, das war Mai, Weltuntergang, das war der Tag, an dem meine Mutter geboren worden war, wie sie immer mal wieder angeberisch sagte, und ich sah ÜBERHAUPT nicht ein, wieso ich, durchschnittliche einssechzig groß und blond, bei einer so schlechten Dramaturgie draufgehen sollte. Ich setzte also zu einem gewaltigen historischen und hysterischen Gezeter an, um gegen so viel Unverstand zu protestieren –
    Als die Sieben fiel.
    Die

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