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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Sieben.
    Meine Zahl.
    Ich hatte in einem Anflug großer Gleichgültigkeit die Chips mehr geworfen als gesetzt, also gewissermaßen hingeschludert, und jetzt lagen sie zu dritt übereinander an der richtigen Stelle.
    Meine Freundin vom Dorf, die jetzt Berenice hieß, sah mich an.
    »Mein Gott«, sagte sie. Und gleich darauf: »Meene Jüte, dit jing ja fix. Damit ha ick ja jetz nich jerechnet.« Ich kapierte nichts und hatte einen Haufen Geld gewonnen.
    Als wäre nichts gewesen, nahm sie meine Hand, und während ich trottelig hinter ihr her zum Ausgang lief, sah |34| ich, wie das Paillettending ihr aalglatt vom Körper glitt. Falsche Schönheit bröselt in zu hellem Licht, und ihre bröselte so lange und vollständig, bis ich darunter meine Freundin wiederfand.
    Die vor Freude schlimmer berlinerte als je zuvor.
    In der U-Bahn konnte ich sie endlich zur Rede stellen. Sie hatte die letzten zwei Wochen recherchiert.
    »Investigiert ha ick, schurnalistisch investigiert.« Und dabei hatte sie herausgefunden, daß mein Vermieter absichtlich seit Monaten die Mieterhöhung vor mir geheimhielt. Er hatte den Postboten bestochen, der die Mahnungen immer mit
unbekannt verzogen
zurückschickte, so daß ich sie nie erhielt und er am Ende sagen konnte, ich sei mit der Miete im Rückstand, obwohl er mich ordnungsgemäß informiert habe. Er hatte mich auf diese perfide Weise gleich nach Weihnachten hinauswerfen wollen, um das Haus sanieren und die Mieten erhöhen zu können. Sein Anruf war eine Drohung gewesen, um mich schon mal ordentlich einzuschüchtern, damit ich nicht am Ende zum Mieterschutzbund lief.
    Ich war meiner Freundin vom Dorf sehr dankbar.
    Mich störte nur ein bißchen, daß sie sich damit so aufspielte.
    Aber ich hatte die Sieben. Als niemand zu uns herübersah, drückte ich ihr einen kleinen Kuß auf ihre aufgeregte rote Wange.
    Und als wir spät in der Nacht aus der U-Bahn stiegen, war auf einmal Weihnachten vorbei. Ein Mann kippte seinen Baum aus dem offenen Fenster.
    Weihnachten war nicht unumgänglich.
    »Ha ick’s nich jesacht!«
    Aber dann war ich mir plötzlich nicht mehr sicher. Bis heute habe ich zum Beispiel nicht herausgefunden, woher |35| sie von meinem Traum wußte. Ich bin mir nicht sicher, ob das Ganze nicht eine Inszenierung war, damit sie eben am Ende recht behielt. Das war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Doch noch in einem Winkel ihres Lebens recht zu haben. Hin und wieder. Wenigstens privat.
    Denn ich meine: Postboten bestechen?

|36| Protokoll 1
    Die Nacht wird kalt werden. Es riecht nach Laub und Kohle. Niemand heizt mehr mit Kohle. Ein paar Obdachlose sind wieder in die Neubauten eingebrochen und haben in einer der Zimmerhöhlen ein Feuer gemacht.
    Auf dem Schreibtisch liegt alles Nötige. Mitschnitte von Lesungen, Mitschnitte von Interviews, manche davon idiotisch, andere nur trist.
    Fotos von ARS im Anzug. Fotos von ihr am Schreibtisch. Fotos auf einem Schiff, dessen Kapitän sie interviewt. Fotos in gestreifter Bluse. Im schwarzen Hemd. Mit Mantel. Und ohne. Meistens sind es Schnappschüsse, einige davon gekonnt.
    Am wichtigsten sind die Briefe. Ihrem Postboten abgeschwatzte, an sie adressierte Briefe. Darunter sind Briefe von ihrem Verlag, eine Ansichtskarte ihrer Eltern aus dem Thüringer Wald, die Lohnsteuerkarte 05, die Honorarabrechnung für einen Beitrag in einer Anthologie, eine Art Liebesbrief, aber den muß ein Klippschüler geschrieben haben.
    Fetische, wie gewisse Leute dazu sagen würden. Aber da sollen mal die die Klappe halten, die einen Fetisch nicht von einem Sammlerstück unterscheiden können! Wer sammelt, der nimmt dieser Welt ein Stück von ihrer Beliebigkeit.
    Die Verbindung mit ARS hat nichts Beliebiges. Die Verbindung mit ARS entstand aus der Einsicht in die Notwendigkeit. Auch wenn ARS von Anfang an schattenhaft war. |37| Schattenhaft wie die Landschaft draußen vor dem Fenster. Ungreifbar und fern.
    Auch wenn sie schweigt wie die Dunkelheit. Nur die Pappeln am Kanal und die drei leerstehenden Neubaublocks gegenüber liegen im Mond.
    Grau im geborgten Licht.
    Wie mit Bleifolie überzogen.
    Vier Jahre sind vergangen, seit sich die Bleifolie zum ersten Mal gelöst hatte, seit sie nicht mehr auf die Brust drückte und das Atmen schwer machte. Vier Jahre. Und jetzt scheint es, als würde sie sich langsam wieder herabsenken. Als würde sie wieder alles mit ihrem Gewicht bedecken. Das darf nie und nimmer geschehen! Wenn ARS nicht antwortet, müssen härtere Maßnahmen

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