Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest
gerade die dritte Kerze in meinen Adventskranz bohrte.
»Sehen Sie zu, daß Sie Ihre Ehre wiederbekommen«, sagte mein Vermieter. »Aber flotti, flotti, wenn ich bitten darf!«
Für einen Augenblick vermutete ich, daß es sich um die Überreste eines unerträglichen Mittagsschlafes handelte, in dem mir ein müder Steuerberater erschienen war und mir erklärt hatte, wieviel mehr ich im nächsten Jahr für Einflugschneisen und staatlich geförderte Lichterketten bezahlen mußte.
»Welche Ehre?«
»Das werden Sie schon herausfinden, meine Liebe«, sagte er. »Oder mit der Wohnung ist Sense.« Und damit überließ er mich einem ungewissen Adventsschicksal.
Nun hatte ich noch nie gehört, daß man zuzüglich zur Miete für eine Wohnung auch mit seiner Ehre bezahlen mußte. Trotzdem ging ich schnell die Sünden des vergangenen Jahres durch. Ich hatte ein Eis samt Eisbecher geklaut, weil mir der Laden, in dem ich das Eis bestellt hatte, zu teuer erschienen war. Ich war aus Greenpeace ausgetreten, weil trotz oder wegen meiner Mitarbeit immer noch jedes Jahr ein Öl-Kahn unterging. Und ich trank. Regelmäßig.
Aber nichts davon war ein Grund, einen Mietvertrag zu kündigen, und erleichtert steckte ich dem Räuchermann ein neues Kerzchen in den Bauch.
Meine Freundin spielt leider in dieser Geschichte auch eine Rolle, und deshalb war meine Erleichterung nicht |29| einmal von der Dauer einer durchschnittlich brennenden Räucherkerze.
»Wie Ehre?« fragte sie am Telefon. »Wat quatscht’n der von Ehre, wo der noch nich mal wees, wo’t zum Sozialamt jeht!«
»Vielleicht hat er es gar nicht so gemeint oder er hatte sich verwählt –«, sagte ich.
»Quatsch. Ick finde, daß wa uff da Stelle wat untanehm müssen.«
Ich ging meinen jungen Hund ausführen, der nur ein einziges unerfreuliches Mal ein Kind mit einem Baum verwechselte, kaufte die üblichen leichten Geschenke für die Verwandtschaft und wartete, daß sie etwas unternahm.
Gegen Ende der Woche sah es allerdings so aus, als ginge mein Leben wieder seinen geordneten Gang. Weder mein Vermieter noch meine Freundin schienen sich noch um mich zu kümmern.
Ein Eindruck, der trügerisch war.
Als ich bei meiner Freundin anrief, war sie nicht zu Hause. Auch nicht am folgenden Tag. Auch nicht am Tag darauf. Statt getröstet zu werden, pulte ich am Kerzenwachs, überlegte, was ich tun sollte, überlegte, ob die Ehre für eine durchschnittliche Bürgerin, einssiebenundsechzig groß und schlank, möglicherweise so etwas wie ein gutes Gewissen war. Sobald es klingelte, dachte ich, mein Vermieter stünde vor der Tür. Fletschte die Zähne, trug Hörner oder einen Schwanz, ja, mit der Zeit bekam er ein teuflisches Aussehen. Ich versuchte, das zu ignorieren, wir leben in einer postmodernen Gesellschaft, in der das Christkind gern zitiert wird, aber Sünde und gefallene Engel?
Ich trank Brennesseltee, sah mir zur Beruhigung an, wie Scully einen Außerirdischen zur Strecke brachte, und mußte ziemlich oft aufs Klo.
|30| Am nächsten Tag ging ich vorsorglich zu meinem Homöopathen. Er wohnt nur eine Querstraße weiter, ein ruhiger Mensch, mit dem man gepflegt über die schlechten Zeiten sprechen kann. Das erste, was ich von ihm sah, war sein Hinterteil. Er stand vornübergebeugt im Warteraum und suchte etwas unter den Stühlen. Als ich ihm helfen wollte und mich ebenfalls bückte, richtete er sich auf, drosch sich auf die Schenkel und brüllte: »Hier ist er auch nicht. Na so ein Schlingel! Der Herr Teufel sind wohl heute gar nicht da!«
Das gab mir den Rest. Ich ging ohne Behandlung nach Hause.
Nachts träumte mir, ich hätte eine Verabredung.
»Geh hin!« flüsterte meine Freundin mir zu. Die ganze Nacht in diesem Traum stand sie an meinem Bett, strich mir herb eine Haarsträhne aus der Stirn und hieß Berenice.
Beim Aufwachen fiel mir ein, daß ich vergessen hatte, zu fragen, wo man sich mit einem postmodernen Teufel um die Weihnachtszeit verabredete. Aber in irgendeinem Buch hatte ich gelesen, daß Spielcasinos das zeitgenössische Äquivalent zur früheren Hölle sind, und das einzige Spielcasino, das ich kannte, lag im Forum Hotel am Alex. Ich ging hin.
Die Spielhölle befand sich nicht, wie ich erwartet hatte, unterirdisch, sondern ganz oben, im 37. Stock. Hierher kamen nur die Reichen und ihre schönen Begleiterinnen. Ich war extrem aufgeregt, mein Rock rutschte immerzu hoch, und im Fahrstuhl verwechselte mich ein Mann mit einer Schauspielerin, was mich
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