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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvester Walch
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die göttliche Natur des Menschseins erkennen wollen. Die Frage ist natürlich berechtigt, ob es angesichts dieser unklaren Ausgangslage nicht zielführender wäre, von vorneherein das Bemühen einzustellen. Es ist aber gerade das Rätselhafte und Unaussprechliche, es sind die großen Fragen des Seins, die von jeher Philosophen, Naturwissenschaftler, Mystiker, Anthropologen und Psychologen in den Bann ziehen. Wenn wir danach fragen, was den Menschen im Innersten zusammenhält, ihn vom Grunde her ausmacht oder seine Entwicklung antreibt, stoßen wir zwangsläufig an Grenzen, weil das, worin auch das Erkennen seinen Ursprung hat, nicht durch das Wachbewusstsein erfasst werden kann. Es ist wie der Versuch, mit der rechten Hand die rechte Hand ergreifen zu wollen, oder wie wenn man in einem von Wolken verhangenen Himmel die Sonne erblicken möchte.
    So greift man grundsätzlich zu kurz, will man das Selbst lokalisieren oder es in Namen, Formen, Farben oder Gewichten zu fassen versuchen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Hirnforschung außer zeitweiligen kohärenten Aktivitätsmustern keine verlässlichen Spuren des Selbst sichtbar machen kann. Dennoch ist es logisch nicht vertretbar, das Selbst zu negieren oder jenen einen metaphysischen Aberglauben zu unterstellen, die darin ein notwendiges Konstrukt erkennen. Vielleicht ist das Selbst eben nicht von fester Struktur und klaren Umrissen, sondern abwechslungsweise das oder jenes, dort oder da, wie das Verhältnis von Welle und Teilchen in der Mikrophysik.
    Mystiker raten, will man sich seiner transmateriellen Wirklichkeit gewahr werden, alles loszulassen, was wir je über das Selbst gedacht oder gewusst haben. Glaubt man jedoch, vom Selbst etwas erkannt zu haben, sollte man nicht daran festhalten, denn je nach Blickwinkel, Entwicklungsstadium oder Bewusstseinszustand ändert sich dementsprechend der Befund. Deshalb muss man stets bereit sein, sich von dem, was man schon über das Selbst in Erfahrung gebracht hat, wieder zu trennen und zum Ursprung der Kontemplation zurückzukehren. Auch wenn diese Suchbewegung vielleicht niemals an ein Ende gelangt, kann sie unverhoffte Früchte hervorbringen.
1. Aus diesem Grunde nehmen Sie bitte wieder eine stabile und komfortable Haltung ein, beginnen bewusst etwas tiefer zu atmen und nach innen zu spüren.
 
2. Gehen Sie der Frage nach: Wer bin ich? Lassen Sie bitte alles zu, was ihnen dazu spontan einfällt, ohne es zu kommentieren.
 
3. Anschließend notieren Sie bitte wieder Ihre Eindrücke.
    Aus meinem eigenen Selbstversuch führen die ersten Einsichten zu folgendem vorläufigem Bild: Es gibt jemanden, der wahrnimmt. Ich bin es, an diesem Ort und zu dieser Zeit, der sich auf diese Fragen einlässt. Es gibt eine letzte Instanz, jemanden, der hinter der Frage steht und Antworten aufnimmt. Trotz großer Verrenkungen ist jener, kaum im Blick, schnell wieder entglitten, wie ein Auge, das sich selbst aus dem Augenwinkel heraus betrachten möchte. Es gibt also ein verdecktes Selbst. Die innere Unruhe, die mich bei diesen Überlegungen erfasst, lege ich zunächst zur Seite, um mich den offensichtlichen Antworten zuzuwenden, die durch die Frage »Wer bin ich?« in meinen Erkenntnisraum gelangen.
    Das sind zunächst Eigenschaften der Person, wie etwa Herkunft, Alter, Beruf, Fähigkeiten, Temperament, die mich in ihrer ganz individuellen Konstellation von anderen unterscheiden. Es kristallisieren sich aber auch Merkmale heraus, die für alle Menschen gelten, wie sterblich, begrenzt, vernunftbegabt, leidend oder veränderbar zu sein. Zwischen den auftauchenden Inhalten, die als Gedanken oder Bilder erscheinen, entstehen Pausen, woraufhin ich zunächst die Frage »Wer bin ich?« wiederhole.
    Dann beobachte ich die inneren Abläufe und bemerke, wie sie kommen und gehen. Dabei dehnen sich die Zeiträume aus, in denen nichts passiert. Nun lenke ich meine Aufmerksamkeit auf diese Leerräume. Das löst Spannungen, Herzklopfen und Enge aus. Bewusst vertiefe ich meinen Atem. Dann beruhigen sich die Körperphänomene, und ich nehme eine eigenartige Entrückung wahr. Es fühlt sich an, als würde der Bewusstseinsraum diffuser und klarer zugleich. Die Inhalte meines Bewusstseins verschwimmen, die Körperempfindungen werden unspezifischer, die Umgebung wird diffuser, und meine Grenzen werden durchlässiger, so dass Inneres und Äußeres ineinander übergehen. Die Zeit scheint stehenzubleiben.
    Obwohl ich noch in gleicher Weise sitze, bin ich

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