Vom Himmel in Die Traufe
guten und wichtigen Dingen in diesem Leben.
Die Gedanken kühlten sich nur gelegentlich ab, wenn Hermanni seine mechanische Schreibmaschine hervorholte und Ergänzungen zu der bereits begonnenen brisanten Story aufs Papier hämmerte. Ein arbeitsloser Holzfäller verfügt über Zeit, momentan hatte Hermanni mehr als genug davon. Dicker Zigarettenrauch hing in der kleinen Stube. Hin und wieder knurrte der Schreiber gereizt, schraubte das Blatt heraus, malte mit schwerer Hand Korrekturen in den gewichtigen Text, spannte den Bogen wieder ein und fuhr mit dem heftigen Gehämmer fort.
Eine Woche später tauchte dann ein Besucher auf, Lena Lundmarks Onkel Ragnar Lundmark. Lena hatte ihren Mädchennamen wieder angenommen, nachdem sie sich von ihrem Mann hatte scheiden lassen, einem gewissen Kuusisto aus Turku, seines Zeichens Möbelimporteur, der an Schizophrenie erkrankt war und später Selbstmord begangen hatte. Herr Ragnar Lundmark war über sechzig und ein Gentleman mit feinen Manieren. Wenn er sprach, hörte man den schwedischen Akzent heraus. Er stellte sich vor und sagte, dass er ein Abgesandter von Frau Lundmark sei und eine wichtige persönliche Botschaft für Herrn Heiskari habe.
Ragnar hatte sich in Freizeitkleidung geschmissen. Er trug einen karierten Blouson aus Wollstoff, geschnürte Geländeschuhe aus weichem Leder, Cordhosen und ein Mückennetz. Draußen vor dem Haus stand ein großer Pkw, den Lundmark, wie er berichtete, in Rovaniemi gemietet hatte, nachdem er von Maarianhamina über Helsinki dorthin geflogen war. Bis zu Hermanni Heiskaris Hütte war es überraschend weit gewesen. Lappland war in der Tat ein sehr großer Bezirk, besonders im Vergleich mit Åland. Sein Gepäck hatte der Gast im Auto gelassen, wie er sagte.
Lundmark war ein großer schlanker Mann, er hatte eine adelige Hakennase und eine hohe Stirn mit mehreren Reihen waagerechter Falten. Das dünne silberweiße Haar war glatt nach hinten gekämmt. Seine Haltung war untadelig, und er bewegte sich geschmeidig wie ein Kosak. Obwohl er groß und auf gewisse Weise stattlich war, wirkte er gleichzeitig irgendwie zierlich, er gehörte zu der Art von Männern, die nicht für schwere Jobs geschaffen war. Seine Stimme war klangvoll wie die eines Rezitators, und er machte insgesamt einen sehr sympathischen Eindruck.
Der Besucher musterte den Hausherrn und die Hütte. Ein gewöhnlicher Mann aus dem Volk, so beurteilte er Hermanni Heiskari. Die Hütte war im Blockhausstil gebaut, sie hatte lediglich ein einziges Zimmer, darin befand sich in einer Ecke ein Alkoven, in der anderen eine Kochnische, vorn an der Eingangstür gab es einen Kamin und daneben eine weitere Tür, die vermutlich in die Sauna führte. Sauber war das Zimmer, aber bemitleidenswert bescheiden, abgesehen von den beiden Regalen, die vom Fußboden bis zur Decke reichten und mit Büchern vollgestopft waren. Zwischen ihnen stand ein kleiner Tisch, darauf ein Radio und ein Kofferfernseher.
Ragnar Lundmark ließ den Blick über die Bucheinbände schweifen. Hauptsächlich Sachliteratur. Oswald Spenglers Untergang der westlichen Welt, Felipe Fernández Armestos Das zweite Jahrtausend , Max Webers Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus , G.H. von Wrights Der Mensch im kulturellen Umbruch , Markku Salomaas Rote Offiziere sowie ein kleiner Band mit indianischen Weisheiten Spuren des Wortes …, aber es gab auch Belletristik, wie etwa Juha Numminens Missetäter, Pertti Nieminens Schriftensammlung über die chinesische Kultur Arm in Arm mit einem Mandarin, Jarkko Laines Roman Wie ein Leichenzug , Bohumil Hrabals Ich habe den englischen König bedient …, an sich überraschend, dass es in der primitiven Behausung eines einfachen Mannes diese Art von Literatur gab, noch dazu in solchen Mengen, es mochten wohl an die zwei- oder dreihundert Bände sein. Ragnar Lundmark hielt es für denkbar, dass Hermanni Heiskari aus dem Nachlass eines gebildeteren Menschen eine komplette kleine Bibliothek gekauft hatte. Wie dem auch sei, so ganz hoffnungslos wirkte dieser Mann nicht, auch wenn er äußerlich ungepflegt war und den Eindruck eines mürrischen und verschlossenen Charakters vermittelte. Und die Landschaft, die durchs einzige Fenster der Hütte zu sehen war, war in der Tat deprimierend. Ein versumpfter künstlicher See, an dessen Ufer verkrüppelte Fichten wuchsen. Man befand sich zwar in Lappland, aber durchs Fenster war kein einziger richtiger Fjäll zu sehen. Ragnar Lundmark
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