Vom Internet ins Ehebett (German Edition)
war. Seit ihrem Weggang hatte die Empfangsdame dreimal gewechselt. Und dies auch erst, seit wir die Praxis im letzten Jahr vollständig umgebaut und renoviert hatten. Das war schon sehr seltsam.
»Gab es einen besonderen Anlass? Hat sie gesagt, warum sie uns verlässt?«
»Sie hat am Telefon gemeint«, meldete sich Frank Spörer zu Wort, »sie habe sich nicht wohl gefühlt. Eine andere Stelle habe sie noch nicht – aber sie sei zuversichtlich, dass sie bald wieder etwas Geeignetes fände.«
»Was heißt denn hier ›nicht wohl gefühlt‹?« Kollege Tröger betonte jedes einzelne Wort. »Bei uns geht’s eben nicht immer ruhig und gemächlich zu. Wenn die Frau nicht belastbar ist, dann ist es besser, wir sind sie los.«
»Es bleibt uns nichts anderes übrig, wir müssen wieder ein Inserat in die Zeitung setzen und eine neue Kraft suchen«, Frank ging nicht näher auf die Worte von Kollegen Tröger ein. »Wer von euch wird das diesmal übernehmen?«
Betretenes Schweigen. Ich betrachtete interessiert den Holzfußboden.
»Das erledige ich«, meldete sich meine Kollegin Ina zu Wort. Ich hätte sie umarmen können. Ich war dazu absolut nicht geeignet – ich hatte kein Talent, Inserate zu formulieren.
Der Tag verging so hektisch, wie er begonnen hatte. Nervöse, überreizte Patienten, schreiende Kinder. Ein Vertreter für Zahnprodukte stellte mir seine neuesten Waren vor, dazwischen klingelte ständig das Telefon. Die Uni-Klinik Wienfragte nach dem Konzept für meinen Vortrag – ich möge es doch vorab an den Professor senden. Mein Konzept? Das hatte ich noch nicht fertig. Schließlich war noch einige Zeit bis zum Kongress. Ich hatte vorgehabt, mir einen gemütlichen Abend zu Hause zu machen. Mit den Jungs zu quatschen, gemeinsam zu Abend zu essen. Und natürlich: über meine Mailbox herzufallen. Und die drei bis vier E-Mails zu lesen, die in der Zwischenzeit wohl hereingeflattert waren. Doch es half nichts: Ich musste die Gemütlichkeit verkürzen. Mich zwar, wie geplant, hinter meinen Laptop klemmen – aber um dort vor allem meinem Konzept den letzten Schliff zu geben. Denn den Herrn Professor wollte und konnte ich nicht warten lassen.
Wie gut, dass es die Holzi gab. Da brauchte ich mich um das Zubereiten des Abendessens nicht zu kümmern.
Als ich am Abend todmüde die Haustür aufsperrte, tat mir nicht nur der Rücken weh. Auch meine Beine waren schwer. Wie freute ich mich auf den Sommer! Ich würde wieder joggen gehen und schwimmen. Im Winter war ich viel zu untätig gewesen. Das rächte mein Körper mit Unbeweglichkeit. Ich war nach dem langen Arbeitstag froh, die Schuhe abstreifen zu können. In diesem Augenblick wäre ich am liebsten sofort unter eine heiße Dusche gegangen und dann ab ins Bett.
Die Küchentür wurde aufgestoßen, und Tim kam im Eilschritt auf den Flur. Gefolgt von seinem Bruder: »Hi, Mam. Wir gehen joggen.«
»Hast du nicht Lust mitzukommen?«
Hatte ich schon gesagt, dass ich meine Jungs liebe? Immer wieder rührte mich die Selbstverständlichkeit, mit der sie mich in ihre Unternehmungen einbezogen. Wenn ich da an meinen Bruder Heinrich und meine Mutter dachte. Allein die Idee, dass er Mutter so eine Frage gestellt hätte –undenkbar. Es war stets unter seiner Würde gewesen, mit den Frauen seines Haushalts, Mutter und Schwester, öffentlich gesehen zu werden. Abgesehen davon, dass meine Mutter schon damals schnell außer Atem kam. Zu viele Zigaretten. Zu wenig Bewegung. Keine Kondition.
»Na, was ist? Wenn du dich beeilst, dann warten wir auf dich!« Tims ungeduldige Stimme riss mich aus meinen Erinnerungen.
»Ist es nicht zu kalt draußen? Wir haben Winter.«
»Mam, wir haben längst Frühling. Und es hat den ganzen Tag die Sonne geschienen.«
Ja, wenn das so war. Das hatte ich gar nicht mitbekommen. Wenn ich meinen langen Tag in der Praxis hatte, merkte ich kaum, welches Wetter wir hatten.
Und so kam es, dass ich kurze Zeit später mit meinen Söhnen durch den Park trabte. Wir waren ein gutes Team, eingespielt nach vielen Jahren gemeinsamen Laufens. Als die Jungen noch kleiner waren, hatte ich mein Tempo dem ihren angepasst. Jetzt hatten die beiden schon seit Jahren eine bessere Kondition als ich. Wenn sie das Tempo verstärkten, dann lief ich meist allein. Doch heute blieben sie in meiner Nähe. Ich merkte, wie gut mir die frische Luft tat. Und wie der Sauerstoff langsam wieder Leben in meinen müden Körper zurückbrachte. Es war wirklich schon recht milde geworden.
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