Vom Internet ins Ehebett (German Edition)
Hildegard auch nicht. Natürlich siegte die Neugierde. Der Professor wurde zur Seite geschoben, die E-Mailbox geöffnet. Sechsunddreißig Zuschriften!
Das konnte doch nicht sein! Hier musste ein Irrtum vorliegen. Um Himmels willen, welche Lawine hatte ich denn da losgetreten?? Ich musste unbedingt Bea zu Hilfe rufen.
»Na, endlich!«, waren ihre ersten Worte, als sie am Telefon meine Stimme vernahm. »Seit Stunden sitze ich auf glühenden Kohlen! Wo warst du denn die ganze Zeit? Wie viele Typen haben sich gemeldet?«
»Sechsunddreißig«, sagte ich mit einer Mischung aus Überforderung und Triumph. »Ich bin eben erst dazu gekommen, mich an den Computer zu setzen. Ich habe die Zuschriften noch gar nicht angesehen. Das wollte ich mit dir gemeinsam machen. Ich dachte, dich würde interessieren, was die Leute so schreiben.«
»Worauf du Gift nehmen kannst«, ertönte es vom anderen Ende der Leitung. »Ich kann hier allerdings nicht weg. Richie hat die Elektriker bestellt, und er ist nicht zu Hause. Die Männer sollten schon seit geschlagenen zwei Stunden da sein. Doch noch fehlt jede Spur. Aber über das Telefon geht’s ja auch: Also, lies vor!«
Das musste sie mir nicht zweimal sagen. Ich öffnete die erste Zuschrift: »Werte Dame«, las ich, »ich erlaube mir, Ihnen auf Ihre Zeilen zu antworten. Mein einsames Herzsehnt sich nach Liebe und etwas Freude in meinem dunklen Dasein …«
Um Himmels willen, was war denn das für einer?
»Frauen haben mich bisher immer enttäuscht. Doch vielleicht sind ja gerade Sie die löbliche Ausnahme, auf die meine gepeinigte Seele mit Inbrunst wartet.«
»Aber sicher nicht!«, unterbrach mich Bea kategorisch.
Und sie hatte Recht. Ich klickte auf Nummer zwei.
»Muss ich eigentlich allen antworten?« Ich dachte mit schlechtem Gewissen an mein Referat.
»Du kannst ja einen Standardtext entwerfen und an alle schicken, die dich nicht interessieren. Das ist fairer, als sich nicht zu melden.«
Eine gute Idee! Allerdings würde ich nicht allen schreiben, wie sich gleich darauf herausstellte, denn: »Hi, du geile Maus. Auch ich bin wild auf eine heiße Nacht. Meine Frau fährt zur Fortbildung nächstes Wochenende. Hast du Zeit?«, hatte keine Fairness verdient. Der fand mit einem simplen Klick auf »Löschen« sein Ende in der Versenkung.
Bea kicherte.
»Bitte lassen Sie sich nicht davon abschrecken, dass ich erst zweiundzwanzig bin. Doch ich stehe auf ältere Frauen. Schon in meiner Jugend konnte ich mit den Freundinnen meiner Mutter mehr anfangen als mit den Mädchen meines Alters. Ich möchte lernen, Erfahrungen sammeln …«
»Klingt verlockend.« Bea schien die Idee zu gefallen, einem jungen Mann beim Sammeln von Erfahrungen zu helfen. Mir allerdings nicht. Wenn ich jemandem die Welt erklären wollte, dann konnte ich das bei meinen Söhnen tun. Und als ältere Geliebte einen jungen Mann in die Tiefen der sexuellen Freuden einzuführen – nein, in dieser Rolle sah ich mich wahrlich nicht. Also, der Nächste, bitte.
»Ich bin Horst, fünfundsechzig, Beamter im Ruhestand. Auch ich reise gern und lade Sie, liebe Unbekannte, ein, mit mir und meinem Wohnmobil die Welt zu erkunden. Wenn Sie auch noch gern kochen …«
»Löschen«, rief Bea.
»Aber warum?«, fragte ich. Mehr, um sie zu provozieren, als aus Lust, den Mann wirklich kennen zu lernen. Hätte ich ein Wohnmobil haben wollen, hätte ich Herrn Steuerthal nehmen können.
»Viel zu alt für dich«, erklärte sie kategorisch, »außerdem sucht der eine Köchin.«
»Hi, Unbekannte, nett dich kennen zu lernen. Ich bin Bobby, fünfundvierzig, Student der Wirtschaftsuni, mit vielen Interessen …«
Bea lachte, ich löschte. Ich hatte keine Lust, einem Fünfundvierzigjährigen sein Studium zu finanzieren. Laut und deutlich bimmelte Beas Haustürglocke.
»Oh, verflixt. Das ist der Elektriker. Du musst allein weiterlesen, Roli. Und dass du mir ja einen genauen Bericht darüber gibst. Ich melde mich später noch mal.«
Eineinhalb Stunden und drei Tassen Tee später hatte ich einen besseren, aber doch noch recht wirren Überblick über die E-Mails von sechsunddreißig partnersuchenden Männern. Ich hatte zwölf davon sofort gelöscht. Aber: Die Mehrzahl der Schreiber war nett, manche waren witzig, manche rührten mich in ihrem festen Wunsch, die Einsamkeit zu besiegen. In meinem Kopf war bisher der Gedanke, Männer könnten einsam sein und sich nach Liebe sehnen, nur ganz im Hintergrund vorgekommen. Obwohl, bei genauem
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