Vom Kämpfen und vom Schreiben
ob es »Jesses Maria« als Hörbuch gibt.
Martin recherchiert, dass es in Deutschland eine Art Monopol für den Onlinevertrieb von Hörbüchern gibt, und dort kann man nur als Verlag aufgenommen werden. Eine CD selbst zu produzieren und zu vertreiben kommt nicht infrage, die Kosten und das finanzielle Risiko sind viel zu hoch. Ich müsste ein Tonstudio mieten, die Texte sprechen, die Aufnahmen digitalisieren lassen, CD-Rohlinge kaufen, die Texte auf CD brennen lassen, sie beschriften, verpacken lassen, ein Cover drucken lassen und mich selbst um Vertrieb und Verkauf kümmern.
Ich kenne aber einen arbeitslosen Webdesigner, Tom, der zwei Straßen weiter wohnt. Tom bietet mir an, so etwas Ähnliches wie ein Hörbuch mit mir zu produzieren und es online zu vermarkten. Er will die Texte aufnehmen, bearbeiten, digitalisieren und als MP3 ins Internet stellen. Man kann sie dann, wie einen Musiktitel, downloaden. Er habe die technische Ausrüstung, das Know-how und die geschäftlichen Verbindungen, sagt Tom.
Er hat einmal in der Woche Zeit, zu uns nach Hause zu kommen. Wir schließen Fenster und Türen, stellen Klingel und Telefon aus, und ich lese Geschichten aus »Kulturschock«. Tom nimmt mit einem Mikrofon auf, was ich lese, die Tondokumente landen direkt in seinem Laptop. Er will die Aufnahmen später bearbeiten, wenn er Zeit hat, das könne aber bis Ende Oktober dauern. Warum er als Langzeitarbeitsloser so wenig Zeit hat, frage ich nicht.
Den Koffer mit seinem Laptop lässt Tom bei uns stehen, weil er ihn nicht immer nach Hause schleppen will – zwei Straßen weiter. Okay, jeder Jeck ist anders. Macht ja nichts, denke ich, das eilt alles nicht. Aber dann eilt es doch.
Denn zwischenzeitlich suche ich nach Fernsehmagazinen, in denen ich meine Satiren irgendwie platzieren kann. Zufällig stoße ich auf die Sendung »Frau TV«, die Redaktion sucht auf ihrer Homepage »Heldinnen«. Damit sind Frauen gemeint, die ein besonderes Leben hatten und ihre Kämpfe gewonnen haben. Ich fühle mich angesprochen und schreibe eine Mail. Ein paar Tage später ruft mich eine Redakteurin an, sie ist interessiert an meiner Lebensgeschichte.
Wir treffen uns im Café Wahlen am Ring, reden eine Stunde. Als ich meinen Umzug ins Rheinland und die Trennung von meinen Jungs schildere, fange ich an zu heulen.
Die Redakteurin meint: »Ihre Geschichte ist beeindruckend. Sie geben niemals auf. Sie sind ein Stehaufmännchen. Ich hätte Sie gern in der Sendung, aber ich entscheide das nicht.« Sie wolle mich in der Redaktion vorschlagen, und dann müsse man abwarten.
Ich werde ein bisschen hektisch, denn wenn ich in die Sendung kommen sollte, wäre es schon wichtig, dass das Hörbuch bis dahin lieferbar ist. Mehr Werbung kann man schließlich nicht bekommen. Aufgeregt rufe ich bei Tom an. Er ist nicht zu Hause. Ich versuche es zwei oder drei Tage lang, kann ihn aber nicht erreichen.
Dann fällt mir der Koffer wieder ein, der noch bei uns steht: Ich schaue hinein und sehe mir das Mikrofon an, notiere Hersteller und Modell und lege es wieder zurück.
Der Verkäufer im Elektrofachmarkt sagt mir, Toms Mikro sei uralt, und ich kaufe das neueste Modell. Es kostet achtzig Euro.
Ich setze mich wieder ins Wohnzimmer, schließe Türen und Fenster, stelle Klingel und Telefon aus und lese meine Satiren. Martin nimmt die Lesungen mit dem neuen Mikrofon auf und lädt sie als MP3 bei iTunes und Amazon hoch – im Gegensatz zu »richtigen« Hörbüchern ist das für meine »Art Hörbuch« mit aufgenommenem Text erlaubt, offenbar eine absurde Lücke im Gesetzestext. Das alles dauert drei Tage.
Die Redaktion von Frau TV meldet sich leider nicht. Schade.
Tom schreibe ich einige Mails und bitte ihn, seinen Koffer endlich abzuholen. Unsere Verabredungen sagt er jedoch kurz vorher ab oder er kommt einfach nicht. Nach ein paar Wochen treffe ich ihn zufällig auf der Straße. Tom ist verlegen und beschließt offenbar die Flucht nach vorn. Er müsse in den nächsten Tagen unbedingt bei uns vorbeikommen und sein Equipment abholen, damit er das Hörbuch bearbeiten und hochladen könne. Das sei zu spät, sage ich, »Kulturschock« sei schon aufgenommen und längst online.
Tom ist stinksauer und holt seinen Koffer zwei Wochen später ab. Er ist etwa eine halbe Stunde weg, als das Telefon klingelt. Tom schreit mich an, es sei das Letzte, dass ich einfach so sein sündhaft teures Mikro genommen hätte, ohne zu fragen, und damit dann einfach meine Texte aufgenommen und
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