Vom Kriege
Vermutung bleiben würde, so ist doch außer Zweifel, daß er dem Mangel an Rücksicht auf den Unterhalt beim Vorgehen das unerhörte Zusammenschmelzen seines Heeres und beim Zurückgehen den gänzlichen Untergang desselben zu verdanken hat.
Aber ohne in Bonaparte den leidenschaftlichen Spieler zu verkennen, der sich oft in ein tolles Extrem wagt, kann man doch wohl sagen, daß er und die ihm vorangegangenen Revolutionsfeldherren in Betracht der Verpflegung ein mächtiges Vorurteil beiseite geschafft und gezeigt haben, daß diese nie anders als unter dem Gesichtspunkt einer Bedingung, also niemals als Zweck betrachtet werden müsse.
Übrigens verhält es sich mit der Entbehrung im Kriege wie mit der körperlichen Anstrengung und der Gefahr; die Forderungen, welche der Feldherr an sein Heer machen kann, sind durch keine bestimmte Linien begrenzt; ein starker Charakter fordert mehr als ein weichlicher Gefühlsmensch; auch die Leistungen des Heeres sind verschieden, je nachdem Gewohnheit, kriegerischer Geist, Vertrauen und Liebe zum Feldherrn oder Enthusiasmus für die Sache des Vaterlandes den Willen und die Kräfte des Soldaten unterstützen. Aber das sollte man wohl als Grundsatz aufstellen können, daß Entbehrung und Not, wie hoch sie auch gesteigert werden mögen, immer nur als vorübergehende Zustände betrachtet werden, und daß sie zu reichlichem Unterhalt, ja auch wohl einmal zum Überfluß führen müssen. Gibt es etwas Rührenderes als den Gedanken an soviele tausend Soldaten, die, schlecht gekleidet, mit einem Gepäck von 30 bis 40 Pfund belastet, sich auf tagelangen Märschen in jedem Wetter und Wege mühsam fortschleppen, Gesundheit und Leben unaufhörlich auf das Spiel setzend, und dafür nicht in trockenem Brote sich sättigen können. Wenn man weiß, wieviel dies im Kriege vorkommt, so begreift man in der Tat kaum, wie es nicht öfter zum Versagen des Willens und der Kräfte führt, und wie eine bloße Richtung der Vorstellungen im Menschen fähig ist, durch ihr nachhaltiges Wirken solche Anstrengungen hervorzurufen und zu unterstützen.
Wer also dem Soldaten große Entbehrungen auferlegt, weil große Zwecke es fordern, der wird, sei es aus Gefühl oder aus Klugheit, auch die Entschädigung im Auge haben, die er ihm dafür zu andern Zeiten schuldig ist.
Jetzt haben wir noch des Unterschiedes zu gedenken, welcher im Betreff des Unterhaltes beim Angriff und der Verteidigung stattfindet.
Die Verteidigung ist imstande, von den Vorbereitungen, die sie zur Verpflegung hat treffen können, während des Aktes ihrer Verteidigung ununterbrochen Gebrauch zu machen. Es kann also dem Verteidiger nicht wohl an dem Notwendigen fehlen; im eigenen Lande wird dies vorzugsweise der Fall sein, aber auch im feindlichen bleibt es wahr. Der Angriff aber entfernt sich von seinen Hilfsquellen und muß, solange sein Vorschreiten dauert, und selbst in den ersten Wochen seines Innehaltens, von einem Tage zum andern das Nötige beschaffen, wobei es denn selten ohne Mangel und Verlegenheit abgeht.
[323] Zweimal pflegt diese Schwierigkeit am größten zu werden. Einmal beim Vorgehen, ehe die Entscheidung gefallen ist; dann sind die Vorräte des Verteidigers noch alle in seinen Händen, und der Angreifende hat die seinigen hinter sich lassen müssen; er muß seine Massen zusammendrängen und kann also keinen großen Raum einnehmen, selbst sein Fuhrwesen hat ihm nicht mehr folgen können, sobald die Schlachtbewegungen ihren Anfang genommen haben. Sind in diesem Augenblick nicht gute Vorbereitungen getroffen, so geschieht es leicht, daß die Truppen einige Tage vor der entscheidenden Schlacht Mangel und Not haben, welches denn nicht das Mittel ist, sie gut in die Schlacht zu führen.
Das zweite Mal entsteht der Mangel vorzugsweise am Ende der Siegesbahn, wenn die Verbindungslinien anfangen, zu lang zu werden, besonders wenn der Krieg in einem armen, menschenleeren, vielleicht auch feindselig gesinnten Lande geführt wird. Welch ein ungeheurer Unterschied zwischen einer Verbindung von Wilna auf Moskau, wo jede Fuhre mit Gewalt herbeigeschafft werden muß, oder von Köln über Lüttich, Löwen, Brüssel, Mons, Valenciennes, Cambrai nach Paris, wo ein kaufmännischer Auftrag, ein Wechsel hinreicht, Millionen von Rationen herbeizuschaffen.
Schon oft sind die Folgen dieser Schwierigkeit gewesen, daß der Glanz der herrlichsten Siege erlischt, die Kräfte abmagern, der Rückzug notwendig wird und dann nach und nach alle Symptome
Weitere Kostenlose Bücher