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Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Titel: Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Kolenda
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Oberkörper über die Lehne des Sessels, ich machte einige Fotos
und gab ihm die Kamera zurück. »Die störenden Berge im Hintergrund kannst du später
wegretuschieren.«
    »Aha, immer
noch schlecht gelaunt.«
    »Wer? Ich?
Wie kommst du darauf?«
    »Ach, nur
so. Ich dachte bloß, du hättest es jetzt lieber, dass sich ein kräftiger, mit einer
Rolex geschmückter Arm um deine Schulter legt.«
    Meine Antwort
kam prompt. »Die Abfuhr deiner zarten, verträumten Alix hast du ziemlich schnell
geschluckt. Wegen ihrer knallharten Interessen hatte sie keine Zeit für dich.«
    »Nein, das
stimmt nicht, du hast sie missverstanden, aus Höflichkeit wollte sie uns nicht länger
aufhalten.«
    Der Sessellift
blieb stehen und wir schaukelten leicht über einem Bach hin und her. Die Aussicht
machte mich sentimental.
    »Du wirst
es nicht glauben, wie romantisch Jan damals war. Auf seine Art natürlich, er spielte
den Helden für mich, er hat alle verprügelt, die mich ›rote Karotte‹ gerufen haben!«
    »Bist du
denn rothaarig? Das ist mir bis jetzt nicht aufgefallen.«
    »Blödsinn,
es war wegen meinem Vater. Er war ein zufriedener Übersetzer der lateinischen Literatur,
sogar ein Dichter, bis er eines Tages von der Partei den Auftrag bekam, den Direktor
der hiesigen Gemüseverarbeitungsfabrik in einem gehobenen Schriftstück, das die
Volksnähe des Direktors unterstreichen sollte, zu loben. Eine Weile trieb sich mein
absolut überforderter Vater zwischen Gemüsekonserven herum und schrieb letztendlich
ein Kochbuch. Auf dem Umschlag waren wir drei Geschwister abgebildet, meine kleine
Schwester mit einem Teller Pellkartoffeln, mein Bruder mit einem Kohlkopf und ich
mit einer Karotte. Darüber der Titel: ›Kartoffeln, Kohl und Rübe – die drei Musketiere
der sozialistischen Küche‹. Mein Vater lieferte das Buch ab, dachte sich gaudium
laboris acti, nach getaner Arbeit ist gut ruhen, und dann kam die Bescherung.«
    »Nein!«
Kurt riss die Augen auf. »Knast? Gulag?«
    »Ach wo!
Erfolg! Das Buch verkaufte sich in einer Auflage in Millionenhöhe. Wegen dem Fleischmangel
damals.«
    »Das ist
doch traumhaft!«
    »Nicht für
meinen Vater, der so schnell wie möglich zu seinen antiken Dichtern zurückkehren
wollte. Stattdessen wurde er rumgereicht und gefeiert als Held der sozialistischen
Kochkunst. Es hieß, dass wir dank seines Buchs ideologisch und gesundheitlich dem
überfetteten Kapitalismus ein Schnippchen schlugen. Die Herzkrankheiten seien bei
uns erheblich zurückgegangen. Aber in der Schule …«, ich brach ab. Die Erinnerung
trieb mir Tränen in die Augen. »In der Klasse war ich seitdem nur die verspottete
rote Karotte.«
    Liebevoll
legte er mir den Arm um die Schulter. »Arme Karotte.«
    »Ich bin
keine armselige Karotte mehr, jetzt hat Jan Schwierigkeiten.«
    »Welcher
Art?«
    »Ach nichts.«
    Unruhig
rutschte er im Sessellift herum. »Nichts? Wirklich nichts? Wenn du die Hilfe eines
Privatdetektivs brauchst, bin ich bereit, Valeska.«
    Sein Oberarm
um meine Schulter störte mich plötzlich, ich schubste ihn weg. »Wieso, ich habe
ja gar kein Problem.«
    Einige Sekunden
schaute er mich traurig an, dann streifte er die Hemdärmel seines Tropenanzuges
hinunter. »Frostig, hier oben.« Umständlich durchwühlte er seine unzähligen Anzugtaschen.
»Ah, da sind sie. Meine neuen Reisehandschuhe.« Er strich sich grüne Lederhandschuhe
über. Im nächsten Moment zog er die Handschuhe wieder aus. Einer davon rutschte
von seinem Knie, wo er sie abgelegt hatte, und fiel hinab in den unter uns dahinplätschernden
Bach. Mit feuchten Augen sah er ihm nach.
    Die Seilbahn
setzte sich ruckartig wieder in Bewegung. Ohne Zwischenfälle schwebten wir weiter
aufwärts. In einer Herberge auf dem Berg bestellten wir Saubohnen in Tomatensoße.
Mit Appetit verspeiste ich zwei Portionen, denn Kurt verschmähte seine und knabberte
nur an einem Brot mit einem Hauch Weißkäse. Dann reihten wir uns in eine Schlange
ein, die sich zu der steilen Treppe zur Schneekoppe hinaufwand. Ganz oben, auf der
windigen Plattform, tranken wir Bier beziehungsweise Wasser und genossen das großartige
Panorama der Berge und Täler. Schulter an Schulter mit unzähligen anderen Touristen.
Dann traten wir den Rückweg an.
     
    Im Karpacz holten wir das Auto vom
Parkplatz. Kurt setzte sich ans Steuer und drückte mir einen Reiseführer in die
Hand. »Du hast doch nichts gegen einen Kirchenbesuch? Seite 58. Einmaliges Exemplar
sakraler Kunst. Eine unscheinbare

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