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Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Titel: Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Kolenda
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Frische, und Kurt, rot angelaufen
im Gesicht, verordnete eine Rast, da sich ein schlecht ausgerüsteter, das heißt
ungeübter Amateurbergsteiger unter uns befinde. Damit meinte er mich. Stolz packte
er Wasserflaschen und Brote mit Weißkäse und Radieschen aus. Alles frisch zubereitet,
trotzdem aß ich meine eigene Verpflegung: trockene Jägerwurst, fetten Käse und knackige
Salzgurken. Er musterte mich missbilligend und gleichzeitig neidisch. Nach dem Mahl
überprüfte Alix ihre Ausrüstung zwecks nötiger Ausbesserung und band die Schnürsenkel
ihrer Wanderschuhe gleichmäßig. Danach säuberte sie ihre Jacke, zupfte 54 Fichtennadeln
und zehn Lärchennadeln ab. Sie schien bester Laune zu sein. Der Zeitpunkt war günstig,
um bisher verborgen gebliebene Gemeinsamkeiten zwischen dem Adelsgeschlecht der
Robotkas und Familie Lem ans Licht zu bringen. Ich fädelte die Sache sehr geschickt
ein: Demonstrativ starrte ich auf mein Bernsteinarmband, das ich am Tag zuvor in
einem Schmuckladen, gar nicht so teuer, erstanden hatte und fragte beiläufig: »Kurt,
ich habe dir doch von dem traditionellen Spruch erzählt, der in meiner Familie hoch
gehalten wurde?«
    »Nein, nicht
wieder polnische Trinksprüche!«
    Alix drehte
an ihrem großen Wappenring. »Familienmotto, interessant. Und wie lautet es?«
    »Sieben
Tage in der Woche bedingungslose Treue.«
    »Wie tugendhaft.«
Sie sah mich erstaunt an. »Nun, ich kenne dich ja kaum, Valeska.«
    »Damit meine
ich: sich selbst treu bleiben.«
    »Ah, das
ist was anderes. Aber warum heißt es sieben Tage?«
    »Alte Familien
haben alle ihre Geheimnisse. Bei uns sind es Zahlen.« Wie zufällig tippte ich mit
dem Finger auf eine Bernsteinbrosche, die an meiner Brusttasche hing. »Familienerbe
aus den Napoleonischen Kriegen. Ein einmaliges Stück.«
    Das hatte
mir jedenfalls der Verkäufer in einem Touri-Geschäft versichert. So etwas fände
ich nicht noch mal, behauptete er. Er irrte, zwei Straße weiter hatte ich dieselbe
Brosche in einem Schaufenster gesehen. Geschickt, wie ich war, wusste ich mir zu
helfen. Mit einem Hammer hatte ich meinem Schmuckstück ein einmaliges Aussehen verliehen.
    »Tatsächlich?
Hübsch, wirklich nett.« Alix warf einen Blick auf mein teures Schmuckstück und las
weiterhin Fichtennadeln von ihrer Jacke ab.
    Ihr Interesse
drohte zu erlahmen, ich räusperte mich. »Wie gesagt, wir haben unsere Geheimnisse
und besondere Neigungen.«
    »Und welche
besondere Neigung hat deine Familie?«, fragte sie endlich.
    Es war nicht
schwer, die Frage zu beantworten. Meine Schulbücher hatten ein deutliches Bild dieser
Ausbeuter gezeichnet. Polnische Adelige waren leidenschaftliche Kartenspieler, trunksüchtige
Raufbolde und gewissenlose Egomanen. Die adeligen Damen, ohne Ausnahme, waren launisch,
verschwenderisch und litten unter eingebildeten Krankheiten. Nun brauchte ich mich
nur in eine dieser Sparten einzuordnen.
    Unmerklich
rückte ich näher an sie heran. »Zahlen sind unser Verderbnis. Ich bin Spielerin
mit einem hohen Suchtfaktor. Kartenspiele, Automatenspiele, Roulette sind mein tägliches
Brot.«
    Das war
nicht unwahr, nur mit der Häufigkeit hatte ich übertrieben. Mein letzter Kasinobesuch
lag so lange zurück, dass ich vergessen hatte, wie man ›rien ne va plus‹ korrekt
ausspricht. Alix schien mein angeblicher adeliger Spieltrieb nicht sehr zu interessieren.
    Stattdessen
wandte sie sich an Kurt: »Und deine Familie? Du hast nie von ihr erzählt?«
    »Was möchtest
du wissen?«
    »Zum Beispiel
etwas über deine Heimat. Wo liegt sie?«
    Er machte
ein verdutztes Gesicht. »In Schöneberg natürlich.«
    Unverständlich,
was jetzt geschah. Als wäre sie von der Tatsache hingerissen, zeigte Alix reizende
Hand- und Körperbewegungen. Nun, was soll man dazu sagen, Schöneberg ist tatsächlich
kein übler Bezirk, ich hatte bis dato aber noch keinen Menschen erlebt, der bei
bloßer Erwähnung eines Bezirksnamens so verzückt gewesen war. Die blonde Schöne
war da anders, sie wiederholte den Namen und sah Kurt mit sehr verliebten Augen
an. »Das klingt wundervoll!«
    Das Gespräch
drohte in die falsche Richtung abzudriften, so schnell gab ich meinen raffinierten
Plan allerdings nicht auf. Eine starke Bande der Gemeinsamkeit wollte ich zwischen
uns Frauen knüpfen. Nun trug ich dick auf: »Mein Stammbaum ist so verwurzelt wie
eine alte, knorrige Linde.«
    »Eine Linde?«,
echote Alix und sah mich mit einem seltsamen Blick an. Bewunderung war das jedenfalls
nicht.
    So

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