Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
bleibt neben einer dunkelhaarigen Frau stehen, die sich über Paloma beugt. Sie bewegt die Hände im Abstand von ein paar Zentimetern über ihr, als wollte sie die Energie beschwören.
»Chepi«, sagt er. »Palomas Enkelin ist da.«
Chepi?
Daces’ – und auch Cades – Mutter beendet ihr Ritual und wendet sich vom Bett ab. Ihr Blick begegnet meinem mit einem Ausdruck, den ich nicht interpretieren kann, ehe Chay sie aus dem Zimmer führt und die Tür hinter mir schließt. Ich stehe noch immer am Eingang und mustere den Raum. Es gibt mehrere handgewebte Navajo-Teppiche, eine schräg
abfallende Decke und drei gleich große Nischen an der Wand gegenüber, die vollgestopft sind mit Fetischen, aus Holz geschnitzten Santos, großen silbernen Kreuzen und anderen religiösen Gegenständen. Ich schnappe nach Luft, als ich die kleine, zierliche Gestalt auf dem schmalen Bett liegen sehe, deren von silbernen Strähnen durchzogenes Haar sich weit über das Kissen ausbreitet. Palomas blasse Gesichtsfarbe steht in scharfem Kontrast zu dem dünnen Blutstrom, der aus ihrer Nase rinnt.
Ich setze mich neben sie, greife nach einem Taschentuch und halte es an ihre Nase. Doch kaum habe ich das Blut abgetupft, beginnt es erneut zu fließen – ein steter Strom, der nicht verebben will.
»Nieta «, murmelt sie, und schon das eine Wort verlangt ihr offensichtlich einige Mühe ab, fordert eine Art von Kraft, wie Paloma sie nicht mehr besitzt.
Ich streichele sanft ihre Wange, beuge mich näher zu ihr hin und sage: »Ich bin’s, abuela .« Ein bisschen stolpere ich über das spanische Wort für Großmutter. Und obwohl ich es mir extra eingeprägt habe, konnte ich mich bisher noch nie dazu überwinden, es auch zu benutzen. Irgendwie kam es mir wohl zu riskant vor, weil es eine Art von Bindung heraufbeschwor, von der ich mir nicht sicher war, ob ich damit umgehen kann. Aber jetzt, da ich Paloma so vor mir sehe, ist nicht mehr zu leugnen, wie viel sie mir bedeutet – wie sehr ich ihr inzwischen vertraue – auf sie baue – sie liebe. Ich habe keine Ahnung, was ich ohne sie tun würde, und es ist unerträglich, sie so zu sehen – so verletzlich und schwach.
Ich ringe um eine feste Stimme. »Mach dir keine Sorgen, mir geht’s gut – absolut gut.« Ich schlucke schwer und blinzele die aufsteigenden Tränen zurück. »Bitte vergeude deine Energie nicht damit, dir Sorgen um mich zu machen. Du
brauchst deine Ruhe. Wir unterhalten uns später. Jetzt schlaf erst mal.«
Sie hebt die Hand vom Bett und ignoriert meine Worte. Mit ihren kalten, dünnen Fingern greift sie nach meinem Handgelenk. »Hast du es gefunden, nieta ?«, fragt sie.
Ich sehe mich um, um mich zu vergewissern, dass wir allein sind und sich nicht etwa Jennika unbemerkt hereingeschlichen hat. »Die Kakerlake hat wie ein Zauber gewirkt.« Ich lächele und wünsche mir, dass sie stolz auf mich ist. »Ich habe es nicht nur gefunden, sondern ich bin auch hindurchgegangen. Ich weiß, dass du mich davor gewarnt hast, aber ich hatte kaum eine andere Wahl. Es ist eher einfach so passiert, aber ich habe es ja heil wieder herausgeschafft, ohne dass es jemand mitgekriegt hat, also ist es doch gut ausgegangen, nicht wahr?«
»Und in welche Richtung warst du unterwegs? Nach oben, nach unten oder seitlich?«, fragt sie mit verstörend matter Stimme.
»Seitlich«, sage ich und muss an den einem Abflusskanal ähnelnden Tunnel denken, der zu der gut eingerichteten Höhle führte. Auf Palomas Miene zeichnet sich Erleichterung ab.
»Die Mittelwelt.« Sie seufzt, während ihre Lider halb zufallen, kurz flattern, bis sie es mühsam schafft, die Augen wieder aufzuschlagen. »Nach wie vor nur die Mittelwelt. Dafür bin ich dankbar.«
Ich will sie nicht aufregen, doch sie muss es erfahren, und so hole ich tief Luft. »Na ja, selbst wenn es nur die Mittelwelt war, was ich gesehen habe, war nicht gut. Er führt etwas im Schilde …« Ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück, während mein Blick zu der Nische mit den Schnitzarbeiten wandert. Die Erinnerung an alles, was ich erlebt habe, leuchtet
so hell in meinem Geist, dass ich wünschte, es gäbe einen Weg, es ihr zu vermitteln. Ich weiß nicht, ob ich es mit der Art von Genauigkeit schildern kann, die es verdient hat, doch ich weiß, dass ich es versuchen muss. »Er hat vor, sich von der Familientradition wegzubewegen. Er will alle Welten beherrschen, und das Bizarre daran ist, dass er mich gebeten hat, mich an seine Seite zu stellen. In
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