Vom Schlafen und Verschwinden
Geräusche, aber manchmal auch ihn selbst, sein Fließen und Murmeln, sein Grundrauschen.
– Zu Hugos Zeiten muss es ähnlich gewesen sein hier im Wald, sagte Benno.
– Glaubst du wirklich, er ist hier mit Soldaten herumgerannt und keiner hat sie je im Dorf gesehen?
– Weißt du, was ich glaube, Ellen? Ich denke, Hugo hat seiner Mutter von Afrika erzählt, und seinem Major in Berlin hat er was von der Ausbildung erzählt, aber in Wirklichkeit ist er einfach abgehauen und hat im Wald gelebt wie Robinson Crusoe.
– Du meinst wie Robin Hood.
– Nein, eben nicht wie Robin Hood. Ich meine allein, ohne Gefährten und ohne Bruder Tuck.
– Und Lady Marian?
– Du meinst die irre Kindsmörderin, von der der Schuster redet?
– Du weißt, dass ich dem Schuster nicht glaube.
– Warum nicht? Die Tatsache, dass er deinen Po anfassen möchte, macht ihn noch nicht zu einem Lügner. Im Gegenteil, würde der Schuster behaupten, deinen Po nicht anfassen zu wollen, wäre das viel eher ein Grund, ihm zu misstrauen.
– Können wir auch noch mal über etwas anderes reden?
– Ja! Lass uns über deine Brüste reden.
– Hör auf. Und wisch dir das Grinsen aus dem Gesicht!
– Warum schlägst du es mir nicht aus dem Gesicht, Ellen, komm, schlag es mir aus dem Gesicht.
Ich schnappte nach Luft. Benno sprach ganz leise, sein Mund dicht an meinem Ohr.
– Ellen. Ich will deine Hand auf meiner Haut fühlen, deine Finger auf meinem Mund.
– Benno, ich …
– Schon gut, Ellen, ist schon gut.
Doch während er noch flüsterte, rissen wir uns gegenseitig die Kleider herunter, er presste mich mit seinem Körper gegen einen Baumstamm, drang in mich ein, Rinde schrammte an Schulterblättern, ich kam sofort.
Wir waren immer im Wald. Irgendwann würde es kühler werden, und ich hätte ihn gern einmal in meinem Haus verführt. Hier im Bett denke ich an Sex mit Benno, aber mit Benno selbst hatte ich nicht ein einziges Mal Sex im Bett. Ich weiß nicht genau, warum Benno nie hereingekommen ist. Es zog ihn in den Wald. Wenn er nicht in Hugos Aufzeichnungen las, streifte er durch den Wald und suchte nach Spuren des Ausbildungslagers. So lange war es nicht her, etwas über hundert Jahre, das ist nichts. Die Stelle musste längst renaturiert sein, aber Spuren verschwinden nie ganz. Benno war sich sicher, dass Hugo Schwindt genau in dieser Gegend gewesen sein musste.
– Er hat von der Ortssage mit der versunkenen Glocke gewusst. Er schreibt über diese Sage. Er muss sie hier irgendwo aufgeschnappt haben.
– Ach du meine Güte, die Sage, die ich dir auch schon erzählt habe?
– Ja, ja, genau die!
– Aber wahrscheinlich hat jedes Dorf an jedem Fluss in jedem Land diese Sage, Benno.
– Nein, es gibt immer kleine, unverwechselbare Details. Die Glocke in eurer Sage ist aus Gold, aus Gold, Ellen. Hier gab es ja auch Gold, das hast du mir selbst erzählt. Undsie kam immer an der Neujahrsnacht zwischen zwölf und eins aus dem Sumpfloch, um zu läuten. Die Burschen, die sie holen wollten, sind nur zum Teil versunken, die anderen, die dabeistanden, sind einfach so verschwunden. Das ist ungewöhnlich. Und das Detail, dass nur die Sonntagskinder die versunkene Glocke in der Silvesternacht vernehmen können, habe ich auch noch nirgendwo anders gehört.
– Ich habe wahrhaftig nichts dagegen, wenn du hier herumstromerst. Aber es würde mich nicht wundern, wenn sich Joachim diese Sage selbst ausgedacht und mir erzählt hätte. Und ich dann dir. Und zufällig hat sie sich vor hundert Jahren auch irgendwer ausgedacht und sie Hugo erzählt und er sie gewissermaßen dir durch mich, und jetzt glaubst du, sie ist wahr, aber das ist falsch, verstehst du?
– Nein.
– Nein, ich auch nicht. Aber ich habe trotzdem recht.
– Selbst erfundene Sagen können passiert sein, vielleicht sogar erst im Nachhinein.
– Vielleicht.
– Erfinde mir eine, Ellen, und ich sag dir, ob sie wahr ist oder nicht.
Es war Sonntagnachmittag, Benno und ich lagen am Baggersee. Obgleich es schon Oktober war, schien die Sonne stark und heiß, und die Badesaison war noch im Gange. Orla war mit Adrian unterwegs, das hieß, sie war meistens oben im Dorf, bei den Hochspannungsmasten auf dem Feld oder im Mais oder bei Joachim. Orla fand es einfacher, Adrian mit zu Joachim zu nehmen als zu mir. Das verstand ich nicht, vor Declan hatte ich nie einen Mann mit zu meinen Eltern genommen. Nicht einmal zum Tee. Aber bei Orla war Joachim anders. Vielleicht hatte sich ja auch
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