Vom Tod verführt: Roman (German Edition)
Aber ich konnte auch den Dolch spüren. Er wollte gezogen werden. Er würde aufhören, mich zu verärgern, sobald er gezogen war.
Das Heft lag perfekt in meiner Hand, ich spürte, wie das Prickeln der Magie über meine Hand kroch. Der Dolch wusste, was er wollte, und ich ließ ihn meine Hand führen. Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung fuhr er durch die silberne Schnur.
» Nein!«, schrie die Hochelfe und wandte sich um.
Die Schnur hing schlaff herab, durchtrennt. Ich schnappte nach Luft. Mein Kopf klärte sich, Adrenalin schoss durch meine Adern, vertrieb den Nebel des Zaubers. Der Dolch prickelte in meiner Hand. Er wollte in Fleisch versinken, Blut fließen lassen. Ich packte ihn fester, hielt ihn zurück, ließ nicht zu, dass er mich benutzte.
» Was ist?«, wollte Ashen wissen und starrte die Hochelfe an.
» Ich hab ihr Spielzeug kaputt gemacht«, erwiderte ich. » Falin?«
Er war bereits an meiner Seite. Ich war sicher, dass er seine Waffe gezogen hatte– doch das war nicht der Fall. Auch er hatte an der Tür überprüfen müssen, ob er Eisen bei sich trug. Nun legte er eine Hand auf meine Schulter. Wollte er mich zurückhalten? Er schwankte. Nein, er hielt sich an mir fest.
Er hatte die verzauberte Flüssigkeit getrunken.
» Ich schätze, ich habe mir einen Feind gemacht«, sagte die Frau. » Aber noch hast du deine wahre Macht nicht erreicht, Feenkind. Komm jetzt, Ashen.«
Sie gingen auf den Baum zu. Ich zitterte, die Kälte in meinem Körper drohte mich zu zerreißen. O nein, Ashen konnte nicht einfach verschwinden. Er barg immer noch meine Wärme.
Ich griff mit meiner Macht nach ihm, sandte die unendliche Kälte wie eine greifende Hand zu ihm. Ashen war eine belebte Leiche, doch er war tot. Das konnte ich erkennen. Und ich hatte eine enge Verbundenheit mit Toten. Als er mich angegriffen hatte, hatte er mit Kraft zugeschlagen, wie mit einem Vorschlaghammer gegen meinen Schild gedonnert. Ich griff nach ihm wie ein Gespenst, ließ meine Macht unter seinem Schild hindurchsickern.
Er blickte über die Schulter zurück, die Augen weit aufgerissen. Schloss seinen Schild enger. Doch meine Macht hatte ihn bereits erreicht, floss in ihn hinein. Suchte nach seinem innersten Wesen. Nach meiner Wärme. Der Lebenskraft, die er mir gestohlen hatte.
Ashen schrie auf und begann zu rennen. Die Frau erreichte den Baum als Erste, dann war sie plötzlich verschwunden. Durch ein Portal.
Ich durfte nicht zulassen, dass Ashen zu diesem Baum gelangte. Nicht mit meiner Lebenskraft. Verzweifelt umklammerte ich sein Innerstes, und der tote Körper stoppte, fiel nach vorn. Nun war kein rennender Mann mehr zu sehen, nur noch ein rennender Geist. Er erreichte den Baum und verschwand.
Die Kehle wurde mir eng. Hatte ich ihn getötet? Ich schluckte. Nein, er war doch schon tot gewesen. Oder irgendwie tot. Seine Körperhülle löste sich vor meinen Augen auf, zerfiel zu Staub. Die Feenwesen an den Tischen um uns herum waren still geworden. Sie beobachteten mich. Vorsichtig. Manche furchterfüllt.
Unsicher wich ich einen Schritt zurück und schloss meinen Schild, schob die Grabeskraft von mir weg. Meine Knie gaben nach, meine Sicht versagte. Ich fiel zu Boden, zitternd. Mir war so kalt, dass ich meinte, daran zu sterben.
Ich rollte mich auf dem Holzboden zu einer Kugel zusammen, die Knie eng an die Brust gezogen. Es schien, als wären meine inneren Organe gegen Eiszapfen und meine Muskeln gegen gefrorenes Holz ausgetauscht worden.
» Du bist kalt wie Eis«, flüsterte Falin, während er über meinen Arme strich. » Wir müssen von hier verschwinden.« Doch er war selbst zu unsicher auf den Beinen, um mir aufzuhelfen.
Im dritten Anlauf schaffte ich es aufzustehen. Ich klammerte mich an Falin, und er sich an mich. Wir kamen nur langsam voran, ich zitternd und blind, er schwankend und stolpernd. Niemand hielt uns auf, doch uns half auch keiner.
» Hörst du die Musik?«, fragte Falin und blieb stehen.
Ich hörte sie. Eine schwungvolle Geige. Eine, zu deren Melodie ich tanzen könnte. Falin änderte unsere Richtung, taumelte auf die fröhlichen Klänge zu. Hatte mir nicht vor Kurzem noch jemand von dieser Geige erzählt?
Ach ja, sie spielte zum unendlichen Tanz auf.
» Nein.« Ich versuchte, Falin zurückzuziehen.
Er lachte, ein Klang reiner Freude, der tief aus seiner Brust kam. » Tanz mit mir, Alexis«, sagte er. Seine Hand glitt von meiner Taille, streifte meinen Arm entlang, als er zu rennen begann.
Ich fasste
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