Vom Tod verführt: Roman (German Edition)
lächelte so angestrengt, dass er seine Lippen beim Sprechen kaum bewegte. » Es scheint, als würde Gouverneur Caine genau dort weitermachen, wo der verstorbene Gouverneur Coleman aufgehört hat.«
Plötzlich hatte ich das Gefühl, Sägespäne im Mund zu haben. Mein Vater war ein Mann im mittleren Alter. Mit braunem Haar.
Ich drehte mich um, sah Roy in die Augen, während ich auf den Bildschirm zeigte. » War er es? Ist das Colemans neuer Körper?«
Der Geist kniff die Augen leicht zusammen, starrte auf den Bildschirm. Dann schüttelte er den Kopf, und die Welt fühlte sich wieder normal an. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie besorgt ich war, bis die Last von meinen Schultern abfiel.
Mein Vater und ich hatten unsere Differenzen, zurzeit herrschte Funkstille zwischen uns, und, na ja, eigentlich wollten wir beide überhaupt nichts mehr miteinander zu tun haben. Doch deshalb wünschte ich mir noch lange nicht, dass man ihm die Seele aus dem Körper riss und sie einsam umherirren musste.
Dann jedoch zuckte Roy wieder mit den Schultern. » Ich weiß nicht. Vielleicht ist er es doch.«
Und schon packte mich diese schreckliche Anspannung erneut. » Du musst es doch wissen!«
» Ich bin seit zwölf Jahren tot. Menschen, die ich nicht kenne, sehen für mich inzwischen alle gleich aus.« Er schob die Unterlippe vor.
Perfekt. Ein schmollender Geist. Genau das hat mir noch gefehlt.
Der Nachrichtensprecher wechselte zu einem neuen Thema, und ich stellte den Ton wieder ab. Dann kehrte ich zu meinem Bett zurück und setzte mich, sortierte meine Gedanken.
» Okay, dann will ich es mal zusammenfassen«, sagte ich und zog die Beine hoch zum Schneidersitz. » Du bist mir gefolgt, weil du möchtest, dass ich allen weitererzähle, dass man dir den Körper gestohlen hat. Du behauptest, Coleman habe sich einen neuen Körper verschafft, bevor er deinen ›entsorgt‹ hat, doch du kannst mir nicht mehr als eine vage Beschreibung des neuen Opfers geben. Hab ich irgendwas ausgelassen?«
Roy lächelte. » Ich mag ja nicht viel über das Opfer sagen können, aber ich weiß, wo der letzte Wechsel stattgefunden hat. Ich kann’s dir zeigen.«
Ich schrieb mir die Adresse auf, die Roy mir nannte. Ich kannte die Gegend, wenn auch nicht besonders gut. Doch ich fuhr nicht auf direktem Weg dorthin. Denn wenn Roy recht hatte, würde ich den Tatort eines Verbrechens betreten, und ich wollte ganz bestimmt nicht, dass mir die Presse geradewegs dorthin folgte.
Also fuhr ich eine Weile kreuz und quer durch die Innenstadt, sah immer wieder in den Rückspiegel, um herauszufinden, ob mir ein Auto folgte. Dann lenkte ich meinen Wagen auf den Interstate Highway Richtung Georgia. Nach ungefähr zehn Meilen fuhr ich ab und auf der Gegenseite wieder auf, lenkte den Wagen dann an Nekros vorbei und hielt auf die Grenze zu Alabama zu. Als ich gute zwanzig Meilen von der Stadt entfernt war, fuhr ich erneut ab und auf eine unbefestigte Landstraße. Auf dieser schmalen, kaum befahrenen Straße würde mir niemand folgen können, ohne dass ich es bemerkte.
Man erzählt sich, die Welt sei vor dem Magischen Erwachen kleiner geworden. Nicht im wörtlichen Sinne natürlich; ich denke, es hatte etwas mit der damaligen Technologie und vor allem mit der Kommunikation zu tun.
Doch seit der Rückkehr der Magie ist die Welt fassbar größer geworden. Neue Gebiete tauchten auf. » Gefalteten Raum« nannte das Feenvolk sie und behauptete, das Land sei immer schon da gewesen, die Sterblichen hätten es bloß nicht wahrgenommen. Nekros war inmitten eines solchen Gebiets errichtet worden.
Die City und die Vorstädte, die sie umgaben, unterschieden sich kaum von anderen Orten in den USA , doch auf dem Land war es anders. Sagenwesen durchstreiften die Wälder, und man munkelte, in den Flussauen unterhalb der Stadt lebten Kreaturen aus längst vergangenen Zeiten. Die Luft selbst schien ungezähmt, als wolle sie den wachsenden Einfluss der Menschen abwehren.
Auf diesen Straßen, auf denen mein Wagen Staubwolken aufwirbelte, hielt ich die Türen sorgsam verriegelt. Ich überquerte den Sionan auf einer alten Steinbrücke, die angeblich aus einer Zeit lange vor dem Magischen Erwachen stammte. Dann hielt ich mich Richtung Norden und kehrte nach Nekros zurück, um schließlich direkt in das im Süden der City gelegene Gewerbegebiet mit seinen großen Lagerhallen zu fahren.
Als ich die Adresse erreichte, die Roy mir gegeben hatte, waren fast zwei Stunden vergangen. Aber zumindest
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