Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein
wirklich glücklich schätzen«, sagte Sissi, »wie viele Menschen träumen von einem solchen Leben?« »Ja, träumen«, antwortete ich, »aber die Realität sieht doch ganz anders aus. Es gibt kaum eine schwierigere, einsamere Beschäftigung, als Bücher zu schreiben. Ja, ich lebe in einer bukolischen Landschaft. Doch die Tatsache, dass du in einer wunderschönen Landschaft wohnst, bedeutet noch lange nicht, dass dir ständig wunderschöne Ideen kommen, die du in unsterbliche Prosa niederschreibst. Es ist nicht zuletzt eine Frage des Sitzfleischs. Ob dir danach ist oder nicht, du schleppst dich jeden Morgen zum Computer und bleibst sitzen, bis der Bildschirm mit Wörtern gefüllt ist. Inzwischen bin ich mir überhaupt nicht mehr sicher, dass man in einer idyllischen Umgebung besser schreiben kann als, sagen wir, in einer GroÃstadt. Man hat wohl mehr Zeit und Ruhe, doch gerade in einem kalten, grauen Winter (ja, auch im Mittelmeerraum kann es kalt und grau sein!) braucht man gelegentlich etwas Abwechslung, einen Bruch der Konzentration, um nicht durchzudrehen.
Für Anfänger ist es ein ziemlich riskantes Geschäft. Ich hatte Glück. Ich wusste, worauf ich mich einlasse, hatte ich doch mein Leben lang vom Schreiben gelebt. AuÃerdem habe ich eine tolle Agentin. Doch viele Menschen, die sich in ihr Traumhaus zurückziehen, um das Buch zu schreiben, das sie immer schon schreiben wollten, erleben ein unsanftes Erwachen. Wer nicht einen Vertrag in der Tasche hat, wem nicht wenigstens ein paar ermutigende Worte eines Verlegers oder Agenten im Ohr nachklingen, der muss damit rechnen, dass der enorme Zeit- und Kraftaufwand völlig umsonst war. Es passiert leider immer wieder: Niemand interessiert sich für das Werk, keiner will es veröffentlichen. Doch gelegentlich, ganz selten nur, entstehen aus solchen Situationen Bestseller. Wer sich also in den Kopf gesetzt hat, sich ins persönliche Paradies zurückzuziehen, um den Roman des Jahrhunderts zu schreiben, dem kann ich nur viel Glück wünschen!
Als ich nach Umbrien zog, hörte ich von zwei amerikanischen Künstlern, die unabhängig voneinander beschlossen hatten, nach New York zurückzuziehen. Ihnen fehlte die Inspiration, die Anregungen, die in einer GroÃstadt überall zu finden sind. Damals verstand ich das nicht. Wer kommt auf die Idee, freiwillig das Paradies zu verlassen? Doch zehn Jahre später verstehe ich genau, was in ihnen vorgegangen ist. Ich bin hungrig nach Leben, ich wünsche mir neue Kontakte. Deshalb verbringe ich einen Teil des Jahres in Berlin. Ich habe verstanden, dass es das perfekte Leben nicht gibt, dass keine Situation, die man sich schafft, auf ewig die richtige ist. Die Zeit vergeht, die Wünsche und Vorstellungen ändern sich. Man sollte bereit sein, sein Leben entsprechend anzupassen.
»Ich werde es tun«, sagt Sissi, »ich werde es ganz bestimmt tun.« Vor wenigen Tagen hatte ich ihr von Ingrid Weichelt und Jutta Ratschinske erzählt. »Ich mache ein Café auf«, erzählte sie begeistert. »Du kennst doch die kleine, heruntergekommene Fahrradwerkstatt, die ein bisschen zurückgesetzt hier an der HauptstraÃe liegt. Vor der immer die Motorradteile und das ganze Zeug herumgelegen haben. Sie hat zugemacht, der Besitzer sucht einen neuen Mieter. Man könnte ein tolles Café daraus machen, das habe ich schon immer gedacht. Das Haus ist aus dem 18. Jahrhundert, es könnte wunderschön sein, wenn es erst einmal ausgeräumt ist und einen frischen Anstrich bekommt. Vorn ist Platz für ein paar Tische, und hinten ist ein Garten. Es liegt nah genug an den Geschäften, es gibt Bushaltestellen und eine U-Bahn in der Nähe, und weit und breit kein anderes Café. Nur einen Dönerladen.
»Wär das nicht wahnsinnig aufwändig, die Behördensachen und so?«, fragte ich. »Und wie stellst du dir das mit der Finanzierung vor?«
»Um den Papierkram kümmere ich mich gerade. Dirk wird mir schon erklären, wie ich an das Geld komme.«
Ich wünschte ihr viel Glück. Es war groÃartig, dass sie diese Initiative ergriff, dass sie sich zu diesem Schritt entschieden hatte. Doch ich wusste auch, dass sie ein hohes Risiko einging. Ein groÃer Prozentsatz solcher Geschäfte, Cafés und Restaurants schlieÃt schon bald wieder die Türen. Doch Sissi ist eine vernünftige, vor allem aber erfahrene
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