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Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein

Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein

Titel: Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clough Patricia
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Frau.
    Wenige Tage danach klingelte das Telefon. Sissi. Noch bevor sie das erste Wort gesagt hatte, wusste ich, dass etwas passiert war. Etwas, das ihr Leben verändern würde. »Dirk hat mich verlassen«, verkündete sie. Ihre Stimme verriet keinerlei Regung. »Was???« »Ja. Er zieht aus, er will allein leben, hat er gesagt. Zuerst wollte er nicht zugeben, dass eine Frau im Spiel ist. Sie ist halb so alt wie er. Sieht er denn nicht, wie lächerlich das ist? Sie arbeitet noch immer bei der Bank, und sie werden es wohl geheim halten, bis sie eine neue Stelle gefunden hat. Aber da machen sie sich natürlich etwas vor. Wenn ich es schon mitbekommen habe, dann weiß es bestimmt längst die ganze Stadt.«
    Zwei Minuten später stand ich vor ihrer Tür, zum Glück war Sonntag, ihr freier Tag. Ich dachte, ich würde sie in einem ähnlichen Zustand vorfinden wie an jenem Abend nach ihrem fünfzigsten Geburtstag, doch sie wirkte wesentlich gefasster: Bleich, aber ohne zu weinen, ging sie im Wohnzimmer auf und ab. Dirk hatte es ihr am Abend gesagt. Sie hatten sich stundenlang gestritten und angeschrien, er hatte seine Tasche gepackt und war verschwunden. Sissi hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan.
    Â»Ehrlich gesagt kam das für mich nicht ganz überraschend«, erklärte sie. »Dirk war so abgeklärt, ich war ihm irgendwie egal, unser ganzes Leben in diesem Haus war ihm egal. Ich bin auch irgendwie gleichgültig gewesen, besonders was den Sex angeht. Ich habe oft keine Lust, manchmal tut es mir sogar ein bisschen weh. Ich weiß, es gibt Salben und so für diese Probleme, aber ich konnte mich nicht einmal aufraffen, zu meiner Gynäkologin zu gehen.«
    Ich gab mich optimistisch. »Er kommt bestimmt wieder. Bestimmt eine Midlife-Crisis, das ist ja nichts Ungewöhnliches. Irgendwann findet sie ihn langweilig und nimmt sich einen Jüngeren.«
    Â»Kann schon sein. Aber ich weiß gar nicht, ob ich ihn zurücknehmen würde«, sagte Sissi. Sie versuchte, ihre Gefühle einzuordnen. Sie war wütend, verletzt, erschüttert. Aber am Boden zerstört war sie nicht – noch nicht, dachte ich, das kommt, wenn sie es erst einmal richtig verstanden hat.
    Â»Liebe ich ihn noch? Schwer zu sagen. Nach all den Jahren, den Kindern, dem täglichen Hin und Her, den Rechnungen, die wir bezahlt haben, den unzähligen Abendessen, weiß ich gar nicht mehr, wie ich unsere Beziehung bezeichnen soll. Er war auf jeden Fall ein Teil von mir, er gehörte zu mir, und deshalb bin ich natürlich schockiert, auch wenn ich schon so etwas vermutet habe. Mein Selbstvertrauen ist angeknackst. Ich bin verlassen worden! Ich bin alt und unattraktiv, und deshalb hat er mich verlassen!«
    Â»Hör mal«, unterbrach ich sie, um einen weiteren Zusammenbruch abzuwenden, »du bist weder alt noch unattraktiv, das weißt du genau. Du bist eine sehr schöne Frau, das sage ich dir immer wieder, und wenn Dirk nicht zurückkommt, wird bestimmt noch der ein oder andere Mann in dein Leben treten.«
    Â»Mach dir mal keine Sorgen«, antwortete Sissi, »ich werde mich bestimmt nicht noch einmal so gehen lassen. Was passiert ist, ist sehr ernst. Gerade deshalb muss ich aufhören zu klagen. Ich werde mich zusammenreißen und ein paar Entscheidungen treffen. Genau darüber habe ich die ganze Nacht nachgedacht, ich habe wirklich keine Sekunde geschlafen. Kann schon sein, dass Dirk nach einer Weile zurückkommt, weil er merkt, wie dumm er war. Aber wer weiß? Wenn er nicht bald zurückkehrt, müssen wir das Finanzielle regeln, die juristischen Fragen. So oder so, ich werde mich nicht gehen lassen und die arme, verlassene Ehefrau spielen. Natürlich ist es möglich, dass ich wieder jemanden kennenlerne, aber rechnen kann ich damit nicht. Also nehme ich mein Leben in die Hand. Wenn ich mich von dem Schock ein wenig erholt habe, werde ich noch einmal darüber nachdenken, aber ich denke, dass es richtig ist, jetzt die Sache mit dem Café in Angriff zu nehmen. Ich muss es nur anpacken.«
    Sissi erholte sich. Zwei, drei Wochen lang überlegte sie, rechnete, dachte nach. Dann machte sie sich an die Arbeit. Sie holte sich Rat, wo sie nur konnte, sie sprach mit Buchhaltern, Bankberatern und Anwälten. Sie recherchierte im Internet und besuchte einen Kurs für Existenzgründer, sie lernte, wie sie sich Geld besorgen, wie sie ihr Geschäft bewerben

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