Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein
vollständige Zitat des jüdischen Weisen Rabbi Hillel (30 v. Chr. bis 9 n. Chr.) lautet: »Wer ist für mich, wenn ich nicht für mich bin? Und was bin ich, wenn ich nur für mich selbst bin? Und wann eigentlich, wenn nicht jetzt?«
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AUF EIGENEN BEINEN
Erstaunlich eigentlich, dass es noch immer Frauen gibt, die Angst davor haben, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Dabei haben wir uns längst an eine Kanzlerin gewöhnt, an Ministerinnen, an weibliche GroÃindustrielle, an Frauen, die internationalen Verbänden vorstehen. Manchmal sind die Ehemänner schuld an diesen Ãngsten oder ein Chef mit altmodischen Vorstellungen, manchmal liegt es an den Eltern, die das Selbstvertrauen ihrer Töchter untergraben, die ihnen ein Gefühl der Unzulänglichkeit mit auf den Weg gegeben haben. Es gibt Frauen, die in Regionen aufgewachsen sind, in denen Frauen bis heute als minderwertig gelten und kaum ernst genommen werden. Wieder andere sind einfach von Natur aus eher schüchtern, sie trauen sich nicht aus ihren Schneckenhäusern heraus. Daher kommt es immer wieder vor, dass sich auch intelligente, gebildete Frauen eher zurückziehen, statt ihre Talente und Fähigkeiten einzusetzen und etwas Interessantes anzupacken.
In den Zeiten der Emanzipationsbewegung gab es Gruppen, in denen sich Frauen gegenseitig halfen, »Bewusstsein« zu schaffen, die alten, tief sitzenden Vorstellungen abzuwerfen, und ihr Selbstverständnis als Frauen zu verändern. Sie machten einander Mut, sich einen Platz in einer Welt zu erkämpfen, die sie als frei und gleichberechtigt akzeptierte. Wäre es nicht denkbar, das Modell auf das heutige Problem zu übertragen? Könnten ältere Frauen nicht zusammenfinden, um sich von den alten Ideen zu lösen und einander Mut zuzusprechen für die Jahre, die vor ihnen liegen?
An einem lauen Sommerabend saà ich mit Sissi und Angela, einer gemeinsamen Freundin, auf meiner Terrasse. Die knapp sechzigjährige Angela erzählte uns Folgendes:
»Als Peter mir mitteilte, dass er sich in eine andere Frau verliebt hatte und zu ihr ziehen würde, glaubte ich, mein Leben wäre vorbei. Wir waren fünfunddreiÃig Jahre verheiratet. Wir haben drei Kinder groÃgezogen. Am Anfang der Ehe habe ich noch als Sekretärin gearbeitet, und ich habe auch zwischendurch immer mal wieder ausgeholfen, aber eigentlich war ich Hausfrau. Peter hat alle wichtigen Entscheidungen getroffen, er war sehr dominant. Alles war so, wie er es sich wünschte. Ich war eigentlich nur ein Schatten, lieà alles geschehen. War ich glücklich? Anfangs schon, aber später ⦠Dass ich unglücklich war, kann ich auch nicht sagen. Ich habe einfach alles so hingenommen. Es hätte mich zu viel Kraft gekostet, meine eigenen Vorstellungen durchzusetzen, mich zu wehren. Mir fehlte der Mut, ich lieà es bleiben. Irgendwie gefiel es mir auch, dass er die Verantwortung für alles übernahm.
Als er dann weg war, war ich traumatisiert. Wie gelähmt. Ich war so beschützt gewesen, ich wusste gar nicht mehr, wie man das machte: Entscheidungen treffen, ein Leben organisieren, etwas gestalten. Es fiel mir sogar schwer, die Einkäufe zu erledigen, mir etwas zu essen zu machen. Die ganze Trennungsangelegenheit überlieà ich einem Rechtsanwalt, es überstieg einfach meine Kräfte.
Nach einer Zeit merkte ich, dass ich ein Niemand war. Die Geschäftseinladungen blieben aus. Einige Freunde und Bekannte aus dem Kreis meines Mannes begannen, mich zu schneiden. Selbst bei meinen eigenen Freunden bemerkte ich eine Veränderung. Vor ein paar Tagen war ich bei meiner Freundin Hilda zum Kaffee. Sie sagte: âºIch muss jetzt mal loslegen hier, es kommen Leute zum Essen.â¹ Das hat unglaublich wehgetan. Ich war allein, und das bedeutete, ich gehörte nicht zu diesen âºLeutenâ¹. Ich war jetzt nur noch jemand, den man sich auf eine halbe Stunde zum Kaffee rüberholen konnte, zu einem Schwätzchen am Nachmittag. Erst in solchen Momenten zeigt sich, was für Freunde man hat!«
»Vielleicht hatte sie Angst, dass du ihr den Mann ausspannst«, sagte ich, »vielleicht hat sie gedacht, du wärst hinter ihm her. Ich spreche aus Erfahrung: Ich habe mal ein Gespräch von Ehefrauen mit angehört, die sich auf einer Cocktailparty über die Jagdinstinkte alleinstehender Frauen beklagten, nachdem sie mich eindringlich begutachtet hatten. Dabei
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