Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein
den Vorstellungen, die ich hatte, als ich mein Leben dem Journalismus widmete. Ich wollte also unbedingt aufhören und fragte mich selbst immer wieder, warum ich nicht einfach kündigte. Doch wenn man mich feuern würde, wartete eine groÃe Abfindung auf mich, die genügen würde, die erste Zeit zu überbrücken.
Und tatsächlich war es jetzt so weit. Die Zeitung war in der Krise unter Druck geraten, der Mann wollte sich zweifellos noch einmal profilieren, indem er eine gut bezahlte Auslandskorrespondentin schasste. Und so kam es dann auch: Während ich meinen Salade Bernard genoss, erklärte er mir, dass nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung, nach dem Golfkrieg und weiteren Entwicklungen, andere Regionen wichtiger waren und dass ein Korrespondent in Berlin nicht mehr nötig sei. Man wolle einen jungen »Stringer« einsetzen, einen freien Korrespondenten, dem man kaum etwas bezahlen musste. Das sollte genügen. Leider, so fuhr der Geschäftsführer fort, gebe es keine andere Stelle, auf die man mich setzen könne. Sie würden mir die Abfindung zahlen, die in meinem Vertrag stand. Dies war der Moment, an dem ich meine Freiheit erlangte.
Es ist eigentlich gar nicht meine Art, so zielstrebig zu sein. Es war das einzige Mal, dass ich so kühl kalkuliert habe â und die Rechnung ging auf. Einerseits war ich sehr zufrieden, dass es funktioniert hatte, andererseits war es auch ein Schock. Zum ersten Mal seit dreiÃig Jahren hatte ich keine Arbeit. Ich konnte nicht mehr tun, was ich immer am liebsten getan hatte: Recherche betreiben, Texte verfassen. Ich hatte keine Identität mehr, kein Namensschild, an dem mich die Leute erkennen konnten. Und keinen Lebenszweck auÃer dem des Ãberlebens. Ich war noch keine sechzig! Die nächsten Wochen verbrachte ich damit, eine Stelle zu suchen, indem ich meine Kontakte bei anderen Zeitungen reaktivierte. Doch nun war ich erst recht schockiert: Ãberall wurden Journalisten gefeuert, niemand stellte ein. Natürlich war mir klar, dass es furchtbar ist, wenn man seinen Job verliert, aber erst wenn man es selbst erlebt hat, weià man, wie schlimm es wirklich ist.
Ich zog nach Italien. Fünf elende Monate lang arbeitete ich für die UNO in Rom, bis ich schlieÃlich das Haus in Umbrien kaufte, mir ein Arbeitszimmer einrichtete und ernsthaft damit begann, Bücher zu schreiben.
Bei genauer Betrachtung glaube ich nicht, dass man mir wegen meines Alters gekündigt hat. Bis zur Pensionierung hatte ich noch einige gute Jahre vor mir. Was gegen mich sprach, waren mein Dienstalter und meine Erfahrung, die natürlich entsprechend bezahlt wurden. In der Zeitungskrise wäre es wohl besser gewesen, ganz am Anfang zu stehen: jung und zu allem bereit. Ich hatte bis dahin nicht einen Gedanken auf die Zeit nach der Pensionierung verschwendet, ich war nicht vorbereitet. Wenn ich jetzt auf die schwierige Ãbergangsphase zurückblicke, denke ich, dass sie durchaus einen Zweck hatte. Sie hat mich aufgerüttelt, sie hat mit einigen alten Vorstellungen ausgeräumt â dass eine »Stelle« nicht alles ist, dass man nicht immer »versorgt« sein muss. Nur wer frei ist, kann ein neues, vielleicht produktiveres Leben beginnen. Ich bin jetzt vierundsiebzig und kann mir nicht vorstellen, mich zur Ruhe zu setzen, auch wenn ich mir darüber im Klaren bin, dass ich möglicherweise irgendwann nicht mehr in der Lage sein werde zu arbeiten. Doch ich hoffe natürlich, dass es noch lange nicht so weit ist.
Der beste Beweis dafür, dass die Fähigkeit, einen Beruf auszuüben, nur bedingt mit dem chronologischen Alter zu tun hat, ist wahrscheinlich Rita Levi-Montalcini, eine italienische Neurologin, die 1909 in Turin geboren wurde.
Sie legte einen langen Weg zurück und musste groÃe Widerstände überwinden. Ganz am Anfang stand ihr Vater, ein Elektroingenieur und Mathematiker, ein altmodischer Mann, der seine drei Töchter liebte, aber extrem autoritär war. Wie damals üblich, galt sein Wort in der Familie als Gesetz. Er schickte die Töchter auf eine Schule, in der man ihnen beinahe nichts beibrachte. Frauen waren dazu da, ihren Ehemännern beizustehen, den Haushalt zu führen und die Kinder zu erziehen. Bildung, eine berufliche Laufbahn gar, störten da nur. Doch die kleine Rita hatte andere Vorstellungen. Bereits mit drei beschloss sie, niemals zu heiraten. Mit zwanzig gelang es ihr, den
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