Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein
doch wir schienen nicht in der Lage zu sein, etwas zu unternehmen. Die kleine Initiative schlief ein. Doch als ein Anwalt aus dem Ort zwei Jahre später gegen ein riesiges »Touristendorf« vorgehen wollte, das im Tal geplant war, kam erneut Bewegung in die Sache. An einer lauten, schmutzigen DurchgangsstraÃe unterhalb des Orts sollten etwa hundert kleine Doppelhäuser entstehen, gegenüber befanden sich zwei Chemiefabriken und die Reste eines groÃen Industriegeländes. Das Ganze war natürlich eine abgekartete Sache. Wenn die Häuser erst einmal fertig wären, würde der Bauherr â zu seiner groÃen Ãberraschung â feststellen, dass keine Firma bereit ist, eine solche Anlage zu betreiben. Und dass auch keine Touristen kommen würden. Unser Stadtrat, der von vornherein eingeweiht war, wäre in dem Fall »gezwungen«, die Erlaubnis zu erteilen, das Touristendorf in eine normale Wohnanlage umzuwandeln. Mit anderen Worten: Es war von vornherein klar, dass hier nur Gesetze umgangen werden sollten, die die ErschlieÃung groÃer Wohngebiete regelten.
Der Anwalt berief eine Versammlung interessierter, besorgter Bürger ein, Einheimische und Ausländer. Wir gründeten eine Umweltorganisation und begannen, gegen die Verschandelung unserer Landschaft zu protestieren. Ich wurde zur Vizepräsidentin, später zur Präsidentin der Vereinigung gewählt. Wir organisierten eine Tagung, an der bekannte Umweltschützer und akademische Koryphäen teilnahmen, wir protestierten, wir hielten Versammlungen ab, platzierten Artikel in der Lokalpresse. Trotzdem fühlten wir uns wie David, der gegen Goliath antritt.
In Umbrien, wie an so vielen Orten, sind Politik und Wirtschaft in einer Weise miteinander verfilzt, die uns chancenlos macht. Dachten wir zumindest. Doch wir waren hundert Mitglieder und hatten zahlreiche Unterstützer, genug Wählerstimmen also, um in einem Städtchen mit achttausend Einwohnern etwas zu bewegen. So gelang es uns, den Beginn der Bauarbeiten immer wieder hinauszuschieben, bis die Wirtschaftskrise kam und die Touristendörfer und andere Bauvorhaben als Investitionsmöglichkeit nicht gerade verlockend waren. Zu unserer groÃen Genugtuung zog der Bauherr seinen Antrag zurück. Nun plant er an derselben Stelle ein »Zentrum für alternative Energie«, offenbar ein Sonnenkraftwerk. Er hat versprochen, dass gröÃtmögliche Sorgfalt darauf verwandt wird, die auÃergewöhnliche landschaftliche Umgebung nicht zu beeinträchtigen. AuÃerdem ernannte die Demokratische (ehemals Kommunistische) Partei (PD), die praktisch seit dem Krieg in unserem Ort das Sagen hat, einen für seinen umweltschützerischen Sachverstand sehr respektierten Mann zum Bürgermeisterkandidaten.
Mehrere Mitglieder unserer Vereinigung begannen nun, sich direkt in der Politik zu engagieren. Sie gründeten den Ortsverband einer jungen, linken und umweltorientierten Partei und lieÃen sich zur Wahl aufstellen. Sie erhielten knapp 7 Prozent der Stimmen, das beste Ergebnis in ganz Umbrien und das zweitbeste in Italien. Nicht schlecht für einen Ortsverein, der erst ein paar Wochen alt war. Leider reichte es nicht ganz für einen Sitz im Stadtrat. Doch dann wurden die Ergebnisse plötzlich für ungültig erklärt. Dank des Aufstiegs der umweltorientierten Partei war die Mehrheit der PD auf nur vierzehn Stimmen reduziert worden. Zudem hatte man herausgefunden, dass die PD kurz vor der Wahl fünfunddreiÃig rumänischstämmige Arbeiter, die als Mitglieder der Europäischen Union das Recht hatten, an Lokalwahlen teilzunehmen, überredet hatte, ihre Stimmen abzugeben. Das Consiglio di Stato, das oberste Verwaltungsgericht, ordnete Neuwahlen an, und zurzeit bereiten die Parteien ihre neuen Wahlkampagnen vor.
Mein politisches Engagement war zwar keine zweite Karriere, doch es war eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Ich sah, wie Filz funktioniert, wie eine Hand die andere wäscht, wie kompliziert die italienische Politik ist, auf der lokalen Ebene wie auf der nationalen. Das weià man theoretisch zwar alles, aber in der Praxis bekommt man es nur selten tatsächlich mit. Es war bewegend zu sehen, wie viele Menschen Veränderung wollen und wie sehr sie sich für die Umwelt engagieren. Ich habe gelernt, dass man die Ereignisse durchaus beeinflussen kann, wenn man nur hartnäckig genug ist.
Bei einer
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