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Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein

Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein

Titel: Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clough Patricia
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brauchte.«
    Eine junge Frau aus der Nachbarschaft erzählte ihr schließlich, dass ihre Mutter in einer Art Club sei für Menschen, die genau in ihrer Lage wären. So stieß sie zum Verband Jahresringe e.V., Gruppe Marzahn-Hellersdorf.
    Jahresringe war ein Verband, der 1991 beinahe aus dem Nichts entstanden war. Eine Anzeige in der BZ am Abend (»Vorruheständler: Probleme – Konflikte – Kommunikation«) hatte alle, die an einer Selbsthilfegruppe interessiert seien, eingeladen, sich mit Werner Ruppelt in Verbindung zu setzen. Werner Ruppelt war Dozent. An verschiedenen Universtäten, Fachhochschulen und Betrieben bot er Managementkurse über Mitarbeiterführung an. Doch seit der Wende kamen immer weniger Menschen, besonders in den Betrieben. Ihm fiel auf, dass gerade die älteren wegblieben. Außerdem hatte er bemerkt, dass viele, die seit der Wiedervereinigung arbeitslos waren, unter psychosomatischen Krankheiten litten, dass sie deprimiert und isoliert waren.
    Der Verband Jahresringe wurde gegründet mit dem Motto: Wer anderen hilft, hilft sich selbst. Mitglieder des Verbandes lasen blinden Menschen Bücher vor, sie halfen in Pflegeheimen aus, reparierten Spielzeug im Kindergarten, schrieben ihre Memoiren, um nur wenige Beispiele zu nennen. Das Wichtigste war es wohl, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie gebraucht wurden.
    Anneliese Hebecker fand in der Gruppe Marzahn-Hellersdorf Menschen mit gleichem Schicksal, mit gleichen Empfindungen und dem Willen, etwas für die Gemeinschaft zu tun. Der von der Gruppe organisierte »Plaudertreff« für einsame ältere Leute aus dem Wohngebiet war ein solches Betätigungsfeld. Acht Mitglieder der Gruppe sorgten für selbstgebackenen Kuchen, Kaffee, Eis und Wein, es wurde geplaudert, es gab Buchlesungen, Reiseberichte und andere Veranstaltungen. Hier engagierte sich Anneliese zunächst mit Beiträgen wie Reiseberichten und unterbreitete Vorschläge für die Gestaltung des Plaudertreffs. Zwei Jahre später wurde sie Gruppenvorsitzende der vierzig Mitglieder zählenden Gruppe Marzahn-Hellersdorf, eine Aufgabe, die sie noch heute erfüllt.
    Durch die Einführung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Ähnlichem wurden die Möglichkeiten, sich sozial zu engagieren, im Laufe der Jahre immer weiter eingeschränkt. Dieser Entwicklung fiel auch der Plaudertreff zum Opfer. In der Gruppe gestalten sie nun ihre Freizeit. Annelieses Gruppe ist besonders anspruchsvoll – »wir sind kein Strick- und Häkelclub«, sagt sie. Sie organisiert gemeinsam mit der Gruppenleitung und den aktiven Mitgliedern der Gruppe Theater- und Konzertbesuche, Betriebsbesichtigungen, Vorträge, Ausflüge, Wanderungen und mehr.
    Werner Ruppelt findet es schade, dass das ursprüngliche Engagement von einst verschwunden ist. »Das soziale Interesse ist sehr zurückgegangen. Man kümmert sich nur um sich selbst, nicht um die anderen.« Doch Anneliese Hebecker glaubt, dass der Verband weiterhin eine wichtige Aufgabe erfüllen wird, auch wenn viele soziale Dienste nun von anderen übernommen worden sind. »Wir sind alle zwanzig Jahre älter geworden«, erklärt sie. Das Durchschnittsalter beträgt nun fünfundsiebzig, einige Mitglieder sind über achtzig. »Es ist so wichtig, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu erhalten, für alle da zu sein, Nähe zu vermitteln und einer Gemeinschaft anzugehören, Dinge gemeinsam zu unternehmen, gemeinsame Erlebnisse zu haben. Wenn ein Mitglied krank ist oder Probleme hat, versuchen die anderen zu helfen. Ihr Engagement in den Jahresringen hat sie gerettet, sagt sie heute. »Es hat mich gerettet, eine Gemeinschaft zu haben, aktiv zu sein und gebraucht zu werden.« Auch wenn die Aufgabe sie manchmal erschöpft, so macht sie ihr doch immer noch Spaß.
    Anneliese ist inzwischen sechsundsiebzig. Eine Nachfolgerin hat sich noch nicht gefunden. Wenn jemand Jüngeres übernehmen oder wenigstens aushelfen könnte, würde sie gern etwas kürzertreten. Ganz aufzuhören kommt für sie aber nicht in Frage. »Ich kann es mir nicht vorstellen, gar nichts mehr zu tun zu haben.«
    Die Geschichte ist voller Menschen, die sich gegen Ende ihres Lebens ganz den geistigen Dingen zugewandt haben. Die einen entsagten ihren weltlichen Gütern, um, nur mit einem groben Gewand bekleidet, in einer Höhle zu leben. Andere gründeten

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