Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein
integriert, dass es einfach kein Problem mehr ist.«
Für die Mehrheit der Anglikaner ist es sicher kein Problem, aber der Widerstand einiger erzkonservativer Gruppen ist noch längst nicht überwunden. Mit Blick auf spätberufene Frauen wie Maggie erklärte der Wortführer einer dieser Gruppen, das Priesteramt sei auf dem besten Weg, »ein Hobby für Omas im Ruhestand« zu werden. »Eine maÃlose Unverschämtheit!«, sagt Maggie. »Und auÃerdem falsch. Viele Frauen konnten der Berufung, die sie seit langem gehört haben, einfach nicht folgen. Sie haben ihre Kinder groÃgezogen und sich um die Ehemänner gekümmert. Es gibt eine Menge Dinge, die einem dazwischenkommen können, wenn man Ehefrau und Mutter ist.«
Wie viele spätberufene Priester wird auch Maggie nicht für ihren Dienst bezahlt. Nur ihre Ausgaben übernimmt die Kirche. Anders als in der katholischen Kirche herrscht bei den Anglikanern kein Priestermangel. Dafür fehlt es an Geld, all die Priester zu bezahlen. Die »nicht-stipendierten« Priester haben etwas weniger Verpflichtungen als die bezahlten â ihr Mann Hugh mag die berechtigte Frage stellen, ob das immer so stimmt â, und wenn die Kirche in einigen Jahren beginnen wird, weibliche Bischöfe zu ernennen, wird Maggie nicht qualifiziert sein. Schade, denn man kann sich vorstellen, dass sie ihre Sache bestimmt sehr gut machen würde. Maggie ist überzeugt, dass die Kirche sehr von der Weisheit und der Erfahrung älterer Priesterinnen profitiert. »Gerade die älteren Frauen hatten immer schon die Funktion, die gesammelte Weisheit einer Gemeinschaft zu erhalten und weiterzureichen, ich glaube, dass ältere Frauen sich auf diese Rolle besinnen sollten. Weisheit wird in unserer vom Jugendkult geprägten Gesellschaft zu wenig gewürdigt. Es ist ein vergrabener Schatz«, meint Maggie, »den wir vielleicht heben sollten.«
Die kurze Zeit, die ich Maggie bei ihrer Arbeit begleiten durfte, bestätigt dies. Sie ist scharfsinnig und intellektuell, hat sich in Theologie und Kirchengeschichte ein breites Wissen angeeignet, spielt hervorragend Klavier und besitzt eine schöne Singstimme. Vor allem aber hält sie sehr inspirierende Predigten. Sie spricht aus der Perspektive einer reifen Frau, egal, ob es um die Spiritualität im Alter selbst geht oder um die fortgesetzte Weigerung in vielen Teilen der Welt, die Gleichberechtigung, Freiheit und Würde von Frauen anzuerkennen.
Maggie absolvierte ihr Vikariat und blieb als Priesterin an der Kathedrale. Die meisten Tage begannen damit, dass sie noch im Dunklen nach Salisbury fuhr, um den ersten Gottesdienst zu zelebrieren. Oft kam sie erst spätabends nach Hause, der Tag war mit Sitzungen und seelsorgerischer Tätigkeit gefüllt. 2010 wurde sie Kaplanin am Sarum College, einem ökumenischen Studien- und Forschungszentrum unmittelbar neben der Kathedrale. Hier kommt ihr theologisches Wissen zum Einsatz sowie ihre Erfahrung im Bereich der Kulturförderung. Ihre Kontakte sind international, sie arbeitet mit den verschiedensten Kirchen zusammen, auch mit der Evangelischen Kirche Deutschlands. RegelmäÃig besucht sie anglikanische Gemeinden in ganz Europa, sie predigt und zelebriert Gottesdienste. Da immer mehr Briten im Ausland arbeiten oder dort ihren Ruhestand verbringen, haben anglikanische Gemeinden auch auÃerhalb Englands groÃen Zulauf.
Eine andere Frau, die sich auch nach zahlreichen Erfolgen nicht zur Ruhe setzen wollte, und sich höchste Anerkennung verdient hat, ist Bärbel Bohley. Bärbel Bohley, die wegen ihrer Rolle während der Ereignisse des Jahres 1989 als »Mutter der Revolution« verehrt wird, hätte sich nach Mauerfall und Wiedervereinigung auf ihren Lorbeeren ausruhen können. SchlieÃlich war sie eine historische Figur. Doch sie hatte andere Pläne. Da sie mit den Entwicklungen in Deutschland nicht einverstanden war, verlieà sie 1996 das Land. Sie war sechsundfünfzig Jahre alt und begann ein ganz neues Leben, das ebenso beeindruckend, aber weniger öffentlich war als ihre Aktivitäten in der DDR -Opposition.
Während der Verhandlungen am »Runden Tisch« hatte die ehemalige Pazifistin, die von der DDR verfolgt und eingesperrt und schlieÃlich aus ihrer Heimat vertrieben worden war, gemeinsam mit anderen Bürgerrechtlern eine ganz eigene Vision von einem neuen, freien Ostdeutschland
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