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Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein

Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein

Titel: Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clough Patricia
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zweiten Karriere, oder wie man es sonst auch nennen mag, muss es nicht unbedingt um Geld gehen. Viele Frauen, besonders ältere, sind froh, sich engagieren zu können: Sie helfen anderen, geben der Gesellschaft, die sie gefördert hat, etwas zurück, engagieren sich an ihren Wohnorten. Oft entstehen aus diesen Aktivitäten neue Kontakte. Die bereits erwähnte amerikanische Organisation Encore Careers macht gerade auf solche Möglichkeiten aufmerksam – in der Bildung, im sozialen Bereich, in der Pflege oder bei gemeinnütziger Arbeit. Manchmal kann man etwas verdienen, manchmal nicht. Wer als Freiwillige arbeiten möchte, muss oftmals kaum eine Qualifizierung nachweisen. Was gefragt ist, sind Enthusiasmus und Hingabe. Dies ist alles nicht neu, Frauen haben sich immer schon stark engagiert. Einige konnten sich beispielsweise nach dem Fall der Mauer in der ehemaligen DDR besonders nützlich machen und haben ihrem Leben dadurch eine neue Wendung gegeben.
    Nach der Wiedervereinigung sah es anfangs gar nicht gut aus. Viele der Frauen ab fünfzig hatten guten Grund zu glauben, dass sie im Leben nichts mehr erreichen würden. Die Bürokratie der DDR war abgebaut, neue Unternehmen wurden nach westlichem Modell gegründet. Viele hoch qualifizierte, spezialisierte Frauen mit langer Berufserfahrung verloren ihre Stellen. Die Konsequenzen einer Kündigung waren in den neuen Bundesländern viel schlimmer als im Westen. Wer zu DDR -Zeiten aus einem Betrieb oder einer Organisation ausgeschlossen wurde, verlor den Zugang zu sozialen Kontakten und die Unterstützung von Kollegen und Freunden. Freizeitgestaltung und politische Repräsentation hingen genauso vom Betrieb ab wie die soziale Versorgung. Diese alten Strukturen wirkten noch lange nach. Man hatte sich an die garantierte Arbeitsstelle gewöhnt und an alles, was dazugehörte. Nun war man plötzlich von heute auf morgen aus dieser Gemeinschaft ausgeschlossen.
    Anneliese Hebecker war eine solche Frau. Am Morgen des 10. November 1989 ging sie wie gewohnt zu ihrer Arbeit. Auf dem Weg begegneten ihr einige Jugendliche, sie rannten eine Treppe hinauf und redeten laut und aufgeregt miteinander. Sie war am Abend nicht zu Hause gewesen und hatte keine Ahnung, was in der Nacht vorgefallen war. Im Büro redeten die Kollegen wild durcheinander, es dauerte eine Weile, bis sie verstand, worum es ging. Die Mauer war gefallen. Die Welt hatte sich unumkehrbar verändert.
    Als überzeugtes Mitglied der SED machten sie diese Entwicklungen nicht gerade glücklich. Erst nach drei Monaten konnte sie sich zu einem Besuch in West-Berlin aufraffen – es war nicht ihre Welt, fand sie. Als dann mit großen Schritten die Wiedervereinigung betrieben wurde, zeichnete sich bereits ab, dass in allen Bereichen des öffentlichen Lebens die Menschen »abgewickelt« wurden, also ihre Arbeit verloren – auch sie.
    Noch ehe es so weit war, erhielt Anneliese Hebecker die Möglichkeit, in den Vorruhestand zu gehen. Die Vorruhestandsregelung wurde eingeführt als eine Rente für ältere Arbeiter und Angestellte, die das offizielle Rentenalter noch nicht erreicht hatten. Zunächst war dieser Schritt in den Vorruhestand natürlich mit dem Problem behaftet, dass man auf einen so zeitigen Rentenbeginn nicht vorbereitet war. »Im Nachhinein«, sagte Anneliese, »konnte mir gar nichts Besseres passieren.« Nur eine Bedingung gab es: Sie durfte nicht weiter nach Arbeit suchen.
    Das Programm, das so vielen Menschen in der Übergangszeit geholfen hat, erstickte jegliche Bemühungen um eine zweite Karriere, eine produktive Anstrengung irgendwelcher Art, selbst wenn sich Möglichkeiten geboten hätten. Was sollte Anneliese Hebecker nun tun? Über ihren Ruhestand hatte sie nicht nachgedacht, er war ihr immer so weit weg erschienen. Zuerst besuchte sie ihren Sohn, der in Vietnam arbeitete. Dann machte sie sich daran, ihre Wohnung in Ordnung zu bringen und alles zu sortieren. Und dann? »Dann diese Leere. Ich fühlte mich krank.« Sie konnte nicht schlafen, ging zum Arzt, der ihr Tabletten gegen Depressionen verordnete. Aber sie sagte sich: »So etwas nimmst du nicht. Du bist doch nicht depressiv.« Sie wohnte eine Zeitlang bei einer ihrer Töchter und kümmerte sich um die Kinder. Doch sie empfand es lediglich als eine Art Beschäftigungstherapie. »Die Kinder haben mich gebraucht, aber es war nicht das, was ich

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