Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein
des Alters in unseren Gesichtern entdecken, manchmal treibt es uns gar zur Verzweiflung. Nicht aus Eitelkeit, sondern weil unser Wohlbefinden damit verbunden ist. Es beeinträchtigt unser Selbstvertrauen, wenn wir erkennen, dass unsere Schönheit dahin ist. Sissi kann ein Lied davon singen. Von allen Seiten werden wir ständig mit der Botschaft bombardiert, dass Schönheit eben doch zählt. Wir werden immer älter und wollen dabei auch noch gut aussehen, wir wollen so aussehen, wie wir uns fühlen: Das Gesicht, das wir aus dem Spiegel kennen, reflektiert nicht unser wahres Selbst. Also kaufen wir teure Cremes, melden uns im Sportstudio an, hungern uns schlank und spielen mit dem Gedanken, uns liften zu lassen.
»Jede Frau, egal welche Vorgeschichte sie hat, reagiert körperlich und emotional sehr stark auf die äuÃeren Veränderungen, die das Alter mit sich bringt«, schreiben Vivian Diller und Jill Muir-Sukenick, zwei ehemalige Models, die heute als Psychologinnen arbeiten, in ihrem Buch »Face it: What women really feel as their looks change«. »Die Tatsache, dass sich unser Aussehen verändert, hat immer eine gewisse Ambivalenz zur Folge. Dabei spielt es keine Rolle, wie viel Wert eine Frau auf ihr ÃuÃeres legt. Nichts ist im Leben vorhersehbarer als die Tatsache, dass wir älter werden. Jede Frau stellt irgendwann fest, dass sie ihr jugendliches ÃuÃeres verloren hat. Und trotzdem löst die Erkenntnis immer eine gewisse Krise aus.« Ein komplizierter psychologischer Prozess kommt in Gang, an dessen Ende oftmals die Fragen stehen: Wer bin ich eigentlich? Was soll aus mir werden?
Diller und Muir-Sukenick kommen aufgrund von Umfragen und den Erfahrungen mit ihren Patientinnen zu dem Ergebnis, dass die Frauen von heute ihr Gleichgewicht verloren haben. Nicht zuletzt deswegen, weil sie die Bedeutung von Schönheit nicht mehr einschätzen können: Ist es wichtig, wie ich aussehe? Oder doch nicht? Sollte es mir etwas bedeuten? Oder nicht? »Einerseits lehnen wir es ab, als Objekt der Begierde, als sexuelles Fantasieobjekt betrachtet zu werden, andererseits wollen wir attraktiv sein. Wir suchen Trost in dem Satz, dass die Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Doch die Welt, in der wir leben, verbietet uns zu altern. Unser Aussehen ist eine Art Währung, es verleiht Macht und Anerkennung in der modernen Welt.
Nicht nur die Medien verbreiten ständig, dass Menschen sehr positiv auf Schönheit reagieren, auch die Wissenschaft hat dies längst bestätigt. Es ist ein Ur-instinkt, der mit dem Ãberleben unserer Art zu tun hat. Man braucht kein Historiker zu sein, um festzustellen, dass Frauen zu allen Zeiten, in allen Kulturen, versucht haben, ihre Attraktivität durch Schmuck, Kleider, Salben und magische Säfte zu steigern, ein Phänomen, das in unserer modernen Zeit grotesk übersteigert worden ist.
1974 feierte Gloria Steinem, eine der bekanntesten Frauenrechtlerinnen, in aller Ãffentlichkeit ihren vierzigsten Geburtstag. In einer Zeit, in der ein vierzigster Geburtstag beinahe als Schande behandelt wurde, die es zu verstecken galt, war dies ein mutiger Schritt. Als ihr jemand gratulierte mit dem Kompliment, dass sie gar nicht wie vierzig aussehe, antwortete sie nur: So sieht heutzutage vierzig aus. Es war eine erfrischende Sichtweise in jener Zeit, viele Frauen fühlten sich ermutigt, ihr wahres Alter nicht länger zu verschweigen. Gloria, die inzwischen Ende siebzig ist, scheint es gelungen zu sein, auf ehrliche Weise auch mit ihrem Alter umzugehen. Auf Fotos sieht sie immer noch sehr gut aus, aber ihr Alter sieht man ihr, nicht zuletzt wegen der grauen Haare, definitiv an.
Trotz der Fortschritte, die wir im Laufe der feministischen Bewegung gemacht haben, versuchen bis heute Millionen von Frauen, ihr Alter zu verbergen. So berichtet die Gesellschaft für Ãsthetische Chirurgie, die gröÃte Vereinigung ihrer Art in Deutschland, dass ihre Mitglieder im Jahr 2009 171000 Operationen durchgeführt haben, zwanzig Prozent mehr als im Jahr zuvor. Es waren laserchirurgische Eingriffe im Gesicht, Fettabsaugungen, BrustvergröÃerungen, Brustverkleinerungen sowie 145711 Faltenbehandlungen, eine fünfzigprozentige Steigerung. (Ein kleiner, aber wachsender Anteil dieser Behandlungen wurde an Männern ausgeführt.) In den USA unterzogen sich 2010 9,3 Millionen Frauen einer Schönheitsoperation, eine Steigerung um
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