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Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein

Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein

Titel: Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clough Patricia
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nachkommen«, antwortete er. Und tatsächlich tauchte Yuri nach einer halben Stunde auf. Er zog sie zur Seite. »Hör zu«, flüsterte er, »lass uns allein reden, ja? Iss nicht mit den anderen zu Mittag, du findest bestimmt eine Ausrede. Sag einfach, dass du nach Hause musst, dann treffen wir uns bei Alfredos.« Alfredos war eine kleine Pizzeria in der Nähe ihrer alten Schule, sie waren früher oft dort hingegangen. Sie nickte, dann trennten sie sich und mischten sich unter die Gruppe. Es war, als hätten sie auch das abgesprochen. Sie sprachen mit den anderen, taten, als wäre nichts gewesen. Doch Sarah zählte die Stunden und Minuten, sie konnte kaum erwarten, mit Yuri allein zu sein.
    Am Ende der Tour verabschiedete sich Yuri, er sagte, er müsse geschäftlich nach Hannover, und verschwand. Sarah ließ ein paar Minuten verstreichen und verabschiedete sich ebenfalls. Als sie aus dem Wagen stieg und zur Pizzeria gehen wollte, kam ihr Yuri bereits entgegen. Sie fielen sich in die Arme, küssten sich, küssten sich immer leidenschaftlicher, ließen nicht mehr voneinander ab … Dass sie auffielen, dass sich bereits Passanten nach ihnen umdrehten, kümmerte sie nicht. Sie gingen nicht zu Alfredos. Yuri hatte schon ein Hotelzimmer in der Nähe gebucht. Der Tag war ein einziger Traum. Sie liebten sich, redeten, liebten sich wie im Rausch, bis sie plötzlich feststellten, dass es bereits Mitternacht war. Gequält von Schuldgefühlen rief Sarah ihren Mann an. Das Klassentreffen sei wunderbar gewesen, sagte sie, sie habe zu viel getrunken und würde bei Anna übernachten. Sie wusste, dass er nicht auf den Gedanken kommen würde, es zu überprüfen.
    Noch in dieser ersten Nacht, erzählt Sarah, wurde ihnen klar, dass sie den Rest ihres Lebens miteinander verbringen wollten – oder mussten. Egal wie. Dass sie einen riesigen Scherbenhaufen hinterlassen würden, verstanden sie ebenfalls. Und so rafften sie alles, was ihnen an Vernunft geblieben war, zusammen und beschlossen, die nächsten zwei Monate zu nutzen, um ihre Entscheidung zu überprüfen, zwei Monate, in denen Yuri in Deutschland zu tun hatte. Sie telefonierten mehrmals täglich und trafen sich, so oft sie konnten. Nur mit allergrößter Mühe gelang es Sarah, ihren Alltag aufrechtzuerhalten, als wäre nichts geschehen. »Ich dachte, ich werde verrückt. Ich war so über alle Maßen verliebt, so von der Idee eingenommen, dass wir zusammenleben würden, und gleichzeitig fühlte ich mich so schuldig. Schließlich war ich gerade dabei, mein altes Leben zu zerstören.« Aber nichts konnte sie umstimmen, es blieb bei ihrer Entscheidung. Yuri flog nach Amerika, um es seiner Frau mitzuteilen und die Scheidung einzuleiten. Sarah sprach mit ihrem Mann und kündigte bei ihrer Firma. Sie bereitete sich auf ihr neues Leben in Amerika vor.
    Ihr Mann war fassungslos. »Bist du noch ganz bei Trost?«, schrie er. »In deinem Alter? Du lässt mich hier sitzen, gibst alles auf? Das Haus, deine Stelle? Und all das, um mit einem Mann in einem fremden Land zu leben, den du vor dreißig Jahren zum letzten Mal gesehen hast?« Es waren einige der schwierigsten Momente ihres Lebens, sie war innerlich wie zerrissen. Ihre Ehe war nicht die allerglücklichste gewesen, aber sie hatten sich arrangiert. Er war freundlich und anständig, ein Mann, dem man so etwas eigentlich nicht zumuten durfte. Er war am Boden zerstört.
    Auch ihr Chef und ihre Kollegen waren sprachlos. Immer wieder musste sie erklären, dass es ihr durchaus ernst sei. Sie glaubten offenbar, dass es nicht mehr sei als eine kleine Altersromanze, etwas, das man bereut, sobald man beginnt, die Pläne in die Tat umzusetzen. Ihr Chef, der sich Sorgen um sie machte, bot ihr an, ein Jahr unbezahlten Urlaub zu nehmen. »Probier es halt aus«, schlug er vor, »wir nehmen eine Aushilfe und halten dir die Stelle frei. Dann kannst du zurückkommen, wenn es nicht klappt.« Doch Sarah lehnte ab und ging.
    Es war eine Liebesgeschichte, an der alle zweifelten. Zu unrecht … Zwar litten sie unter der bedrückenden Schuld, ihre Ehepartner verlassen zu haben, doch in der neuen Beziehung waren Yuri und Sarah unendlich glücklich und sind es, soweit ich weiß, bis heute.
    Späte Liebe, wie sie Sarah und meine Mutter erfahren haben, hat es immer gegeben. Doch galten derartige Fälle früher als

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