Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Leberkäse aus dem Glas mit Spiegeleiern und Brot anbieten, dazu einen frischen Salat aus dem Garten!“
„Phantastisch“, trällert mein lieber Wanderbruder.
„Gut, dann wollen wir mal“, antwortet sie und macht sich auf in die Küche.
Es schmeckt herrlich. Lange noch sitzen wir zusammen, erst mit der Wirtin und dann zu zweit. Sprechen über unsere Wanderung, über die vielen schönen Tage, über uns beide, über das langsame Abschiednehmen von der Tour und das Wiedersehen mit unseren Frauen übermorgen in Füssen. Ich verspüre keine Wehmut, noch sind wir ja unterwegs, und irgendwann ist es ja auch mal gut. Spät gehen wir auf unsere Zimmer. Es war ein schöner Abend mit uns beiden, der einundvierzigste. Und alle haben wir in der Regel überwiegend zu zweit verbracht, ohne Streit in meist einträchtiger Zweisamkeit. Das soll uns erst mal einer nachmachen!
A M F USSE DER A LPEN
DIENSTAG, 10. JUNI
BERNBEUREN – BUCHING (NORDRAND DER ALPEN), 27 KM
Zwei Maß Bier, ein köstliches Abendbrot, eine Übernachtung in einem wunderbaren Bett und ein üppiges Frühstück für insgesamt 35 Euro. Bingo – mit diesem Preis plus fünf Euro für eine Mittagssuppe käme man mit 1.200 Euro im Monat gut zurecht und hätte noch einiges übrig, wenn man hin und wieder im Freien schläft.
Lasst uns unsere Häuser verkaufen, unsere Mietverträge kündigen und zu einem Wandervolk werden. Jeder ist unterwegs. Die Bayern in Preußen und die Preußen in Bayern. In den Dörfern gibt es wieder genügend Gasthöfe und Geschäfte und an den Rändern der Autobahnen äsen Rehe und Hirsche. Man stelle sich das mal vor!
Das Allgäu zeigt sich in seinem Festtagsgewand. Ein blanker, klarer Himmel, darin einige bayerische Wolken, grüne, wellige Almmatten, begrenzt von der majestätischen, schneebedeckten Alpenkette, deren linker und rechter Arm auf einen tiefen, etwas nach hinten versetzten Einschnitt zulaufen, der das Tor des in die Berge hineinführenden Lechtals bildet. Darüber erheben sich die Zweitausender der Tannheimer Berge wie das mächtige Haupt einer Walküre. Man meint, in die ausgebreiteten Arme einer Frau zu laufen. Es ist wie eine symbolische Geste am Ende unserer Reise: Seid willkommen, ihr müden, stolzen Wanderer, kommt zu mir, es ist genug. Und vor diesem Tor liegt Füssen, die Stadt, die das Ende unserer Wanderung markiert.
Es ist wunderbar, hier zu laufen, ein grandioser, überwältigender Abschluss unserer Tour. Ich fühle mich stark. Mein Kopf ist klar, die rechte Ferse spüre ich seit Tagen nicht mehr, der Rucksack ist ein Teil von mir geworden, und am Abend bin ich wohlig müde von einem erfüllten Tagewerk. Diese einfache Art zu sein, mit all den wunderbaren, aber auch schmerzhaften Erfahrungen, hat mir gut getan. Eine tiefe Befriedigung durchströmt mich und hat die Unruhe, die sonst meinem Wesen eigen ist, zum Schweigen gebracht.
Durchflutet von Sonne und Licht wandern wir zurück zum Lech, folgen seinem Lauf Richtung Süden, pausieren an dem mächtigen Stausee vor Lechbruck, auf dessen glatter Oberfläche sich der Himmel eins zu eins spiegelt, so dass man meint, den Himmel auf Erden zu haben.
Allerdings sieht man auch diesem Gewässer seine künstliche Entstehung an. Die Ufer gehören dort, wo sie sind, nicht hin. Man hat ihnen diese Nähe zum Wasser aufgezwungen, Land und Wasser passen so nicht zusammen.
Die anhaltende Trockenheit hat den Wasserspiegel sinken lassen, und durch die milchiggraue, seichte, ufernahe Suppe schimmert der ehemalige Waldboden. Unzählige Baumstümpfe ragen aus dem Wasser, getragen von den unter ihnen sich spreizenden, bloßgelegten fahlen Wurzeln. Wie Wesen aus einer vergifteten Welt schweben die Stümpfe auf ihren knochenbleichen Tentakeln über dem seichten Grund, und auf ihren Köpfen hocken Möwen, Enten und Schnepfen und verharren regungslos unter der sengenden Sonne.
Nach einer Mittagspause in Lechbruck und einigen weiteren Kilometern am Fluss wenden wir uns Richtung Südosten auf das Ammergebirge zu. Unseren letzten Tag wollen wir morgen mit einer Bergtour krönen.
Wir laufen nun über Wellenberge, über immer höhere Kämme parallel verlaufender Höhenzüge, die sich zu den Alpen hin aufschichten. Tauchen hinab in die verzauberten Täler mit ihren dunklen Fichtenhainen, den klaren Bächen, kleinen Teichen und verstreuten Gehöften. Dann wieder hinauf auf die Höhe. Schon im Anstieg drängen die Gipfel des nächsten Kammes über den nahen Horizont gegen die tief
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