Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Hängen, die Gipfel umhüllt von schweren Wolken, in den tieferen Lagen dunkle Fichtenwälder. Eine abweisende, ursprüngliche Welt, majestätisch, still, geschaffen für die Ewigkeit.
Vieles in der Musik von Richard Wagner entspricht dieser monumentalen Landschaft, wie die Ouvertüre zum „Tannhäuser“ mit ihrem kraftvollen, hymnischen Eingangsthema und den es untermalenden Kaskaden von Abwärtsläufen der Streicher; ein ehernes Gebirge aus Musik, das sich aus dem anfangs verhalten gespielten Thema zu gewaltiger, strahlender Höhe emporschwingt und dabei seine dunkle, geheimnisvolle Seite nie verliert. Ludwig II. war ein leidenschaftlicher Anhänger von Wagners Musik und unterstützte den Komponisten, wo er nur konnte. Dieser besuchte ihn auf seinem Schloss Hohenschwangau und war im August 1865 sein Gast auf der Hochkopfhütte über dem Walchensee, wo er an dem „Ring des Nibelungen“ arbeitete.
Wieder unten, wenden wir uns Hohenschwangau zu, gelangen auf einen Parkplatz, auf dem die Busse Ströme von Touristen ausspeien, die sich, in allen Sprachen der Welt durcheinanderredend, über die Schlösser und Anwesen Ludwigs II. hermachen. Ein buntes Gewusel von Menschen, die einen dorthin unterwegs, die anderen in jene Richtung eilend. Vor den Andenkenläden, auf jeder Bank, in jedem Lokal sind sie zu finden, bilden Trauben, gehen wieder auseinander. Ein Kommen und Gehen wie auf einem riesigen Jahrmarkt.
Wir halten uns hier nicht lange auf, überqueren den Platz, und schon bald umschließt uns ein letztes Mal ein tiefer, dichter Wald, dessen Zauber wir so oft genossen haben. Mein Herz klopft. Vielleicht noch eine Stunde, bis ich meine Frau in die Arme schließe. Ein stiller See begleitet uns. Die dunklen Fichten spiegeln sich im Wasser. In uns gekehrt laufen wir schweigend nebeneinander her. Es ist vollbracht.
Ein wirklich, so kann ich jetzt sagen, grandioses Unternehmen geht zu Ende. Ein Unternehmen, das uns weit, weit weggetragen hat von Zuhause, vom Alltag – zu uns selbst und in ein anderes Universum, in dem wir beide miteinander auskommen mussten. Und das haben wir gut gemeistert. Das haben wir gut gefüllt. Es gab gute und schlechte Tage, es gab beseelte Momente, und es gab auch Sehnsucht und Melancholie. Es gab Anstrengungen bis über den toten Punkt hinaus. Es gab Nächte, die wir im Freien verbrachten haben, immer wieder, und die Abende draußen am Lager waren die schönsten – so leicht, so frei, durchlebt mit einer tiefen Befriedigung und eins mit der Natur. In der Mitte der Wanderung waren wir so weit weg, dass wir glaubten, schon ewig unterwegs zu sein, obwohl die Tage so schnell vergingen.
Wir haben philosophiert, wir haben über uns gesprochen, über Musik, über die Landschaft, aber oft auch nur Banales von uns gegeben. Wir haben uns auf Baumstümpfe gesetzt und einfach geschwiegen und in den Wald hineingehorcht, haben das Wispern der Wälder vernommen und vom Wesen des Wanderns erfahren. Wir haben uns auf Bänke niedergelassen und waren dankbar, dass sich hinter uns ein Baum in die Höhe reckte und uns Schatten spendete, weil die Hitze schier unerträglich war. Wir haben in Biergärten gesessen, uns glücklich angeschaut und mit einer Maß angestoßen.
Wir haben Burgen und Schlösser besucht und still in Kirchen gesessen. Wir haben an Flüssen und Seen gestanden und sind durch Bäche gegangen, über Weiden und durch wildes Gestrüpp. Wir haben die Wälder durchmessen und haben dabei geschwiegen, und es war wie in einer Kirche. Wir haben auf Auen und Höhen verweilt und in die Weite geschaut, wir haben am Wiesenhang gelegen und das Schauspiel der untergehenden Sonne genossen.
Wir haben unsere Gesichter am Morgen mit Tau benetzt und die Müdigkeit vertrieben. Wir waren hungrig und sind durch Wälder und über Felder ganz still wie zwei Pilger in den Tag hineingelaufen, um einen Ort zu finden, wo wir endlich frühstücken konnten.
Wir haben diese einfache Struktur genossen, die uns den Rhythmus vorgab: aufstehen, zwei Stunden wandern, eine Pause machen und wieder zwei Stunden laufen. Dann, wenn es möglich war, eine Suppe am Mittag zu uns nehmen, um danach die zweite Tageshälfte in eben demselben Rhythmus anzugehen und abends irgendwo einzulaufen.
Wir sind vielen freundlichen Menschen begegnet, haben uns mit ihnen unterhalten und haben ihre Nöte kennengelernt. An Hochzeiten und Beerdigungen zogen wir vorbei, an dem Alltag der Menschen, ohne daran teilzuhaben. Wir waren nicht hier, und wir
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