Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
wird es schwieriger. Eigentlich hat der Wirt keine Lust, jetzt noch irgendetwas zuzubereiten – die Auswahl wäre sowieso nicht üppig gewesen. Aber er mag uns, und angesichts unserer Leistung und der Tatsache, dass wir Wanderer sind, will er uns eine Brotpizza zubereiten. Sie entpuppt sich als strammer Max, schmeckt aber hervorragend, sättigt und kostet nur 3,80 Euro.
Deutschland gewinnt 2:0, und weil das so ist und verbindet, verbrüdern sich in einer kleinen Kneipe in der bayerischen Provinz Preußen und Bayern, liegen sich in den Armen, klopfen sich gegenseitig auf die Schultern und klatschen mit den Händen ab. Geht doch!
Ein wunderschöner Tag geht zu Ende. Im Mondschein liegt das schlafende Dorf unter uns. Das Wasser des Lechs glitzert im Widerschein des fahlen Lichtes, die milde Nacht hat sich über das Land gesenkt. Zufrieden gehen wir hinüber zu unserem Bauernhof.
E INE H ÜTTE AM F LUSS
MONTAG, 9. JUNI
KINSAU – BERNBEUREN (ÖSTL. ALLGÄU), 31 KM
Um sieben Uhr morgens stürmen die Dinos das Dorf. Es rattert, quietscht und wummert, dass mir Hören und Sehen vergehen. Selbst in diesem kleinen, idyllischen Flecken treiben sie ihr Unwesen, reißen die Wege auf und die ruhesuchenden Wanderer aus ihrem Schlaf. Dank Ohropax gelingt es mir, die Nacht zu verlängern und noch ein wenig zu schlafen.
Mein Schlafzimmer hat ein riesiges Fenster und eine Terrassentür zum Garten hin. Als ich die Vorhänge zurückziehe, erlebe ich eine Überraschung. Auf dem Rasen vor mir weiden mindestens 20 Haflinger. Einige stehen direkt vor meinem Fenster und schauen mir in die Augen. Ich öffne die Tür und trete auf die ebenerdige Terrasse, streichle die nächststehenden Pferde und freue mich an dieser Idylle.
Es ist ein herrlicher, milder Morgen. Die Sonne scheint. Unzählige Fliegen umschwärmen die Pferde, am Boden scharren und picken Hühner, ein Kätzchen schmiegt sich an meine Beine und huscht ins Zimmer. Die Dinos machen Pause, so dass es still und friedlich ist. Ich inhaliere tief das würzige, ländliche Aroma, strecke meinen Körper und spüre, wie mich die Lust auf den Tag packt. Frühstücken und dann ab in die grünen Auen, in die verträumte hügelige Landschaft des Allgäus mit dem allgegenwärtigen Panorama der Berge im Süden.
Schon nach wenigen Metern hat uns dieses Land vereinnahmt.
Zunächst wandern wir entlang des Steilufers am Lech. Der grüne Fluss windet sich in sanften Bögen weit unter uns. Flache, steinige Halbinseln ragen bis in die Flussmitte hinein. Ihr helles Geröll leuchtet unter der Sonne wie der weiße Sand am Meer.
Auf einer der vielen flachen Kuppen im offenen Land haben wir einen prächtigen Ausblick über die sanft gewellte, anmutige Gegend mit ihren ausgedehnten, saftigen Wiesenmatten und den vielen kleinen Fichtenhainen, die hier weniger stören. Wie ein gigantischer Golfplatz dehnt sich das Land bis an die hohen Berge im Süden, die immer deutlichere Konturen annehmen und von Mal zu Mal in den Himmel wachsen. Hin und wieder steht eine Kapelle oder eine kleine Kirche auf einem der Hügel, wie ein Leuchtturm, schon von Ferne auszumachen wegen des roten Daches und den blendendweiß getünchten Kirchmauern.
In einer Wiesensenke ruht ein kleiner Teich, darin spiegelt sich der blaue Himmel mit seinen abertausend kleinen, weißen Wölkchen. Ein weites Land, ein hohes Land, dicht am Himmel gelegen. Auf jeder Anhöhe überrascht ein anderer, wundervoller Blick, und in den Mulden liegt der schwere Duft der Kräuter und sammelt sich die Wärme des Sommers – ein Paradies.
Nur eines fehlt, die Kühe.
In Schongau ist es vorbei mit der Idylle. In der Oberstadt ein Höllenlärm, ganze Straßenzüge sind unpassierbar. Wieder einmal krachen und wummern die Bagger, es ist nicht zum Aushalten und darüber hinaus unglaublich, wie oft wir ihnen begegnen. In Deutschland scheint es davon mehr zu geben als Kühe auf den Weiden.
Wir flüchten in die Seitengassen und finden dort ein kleines Restaurant.
Gestärkt wandern wir entlang der mittelalterlichen, mit einem überdachten Wehrgang ausgestatteten Stadtmauer durch das wuchtige Frauentor hinab zum Lech und wieder hinaus in das weite Voralpenland. Bald verschwinden wir in den Wäldern oberhalb des Flusses. Schmale Wurzelpfade führen uns durch uraltes Baumland, mal an den Rand des Hanges, an dessen Fuß der Lech still dahinfließt und der Blick sich in den Flussauen verfängt, mal in die Tiefe des Waldes mit seinen gewaltigen, uralten
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