Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Laubbäumen. Wir wandern einträchtig und gedankenverloren durch eine Welt, in der die Zeit nach menschlichen Maßstäben keine Rolle spielt.
Direkt am Hang steht eine umzäunte Holzhütte mit einer erhöhten Terrasse aus breiten Holzbohlen. Zwei Bänke laden zum Verweilen ein. Das Gatter steht offen, Tür und Fenster sind mit Verschlägen gesichert. Über Terrasse und Hütte ragt wie ein Dach das ausladende Astwerk knorriger Bäume. Unter einem mächtigem Zweig, am Rand der Terrasse zum Steilufer des Lech hin, befindet sich eine Öffnung, ein Fenster, durch das wir ein Stück des Flusses erblicken.
Jeder nimmt sich eine Bank und streckt sich auf ihr aus. Ich verschränke meine Hände unter dem Kopf und schaue in das grüne Blätterdach über mir. Wie fein und zart und stimmig alles komponiert ist und wie schön es ausschaut. Niemand könnte sagen, ob es so oder so besser sei. Es ist vollkommen und einzigartig.
Martin ist bald eingeschlafen, ich höre sein ruhiges Atmen.
Wie still es ist. Nur einige Vögel singen, eine Biene summt vorüber, ein trockener Ast knackt. Hin und wieder geht ein leichter Wind durchs Geäst, spielt mit dem Laub, verwirbelt das Licht. Ich schließe meine Augen und lausche in den Wald hinein. Spüre seinen Atem.
Wer bist du? Erzähl mir deine Geschichte, erzähl mir von der Welt, als du jung warst, und von deinen Vorfahren, die einst, noch vor den Menschen, dieses Land beherrschten!
Und dann dringt es wieder zu mir, dieses geheimnisvolle Wispern. Aus den Kronen der hohen Bäume rieselt es herab, wenn das Rauschen des Windes verebbt und nur noch ein zarter Nachklang so eben vernehmbar ist, als ein Flüstern der Natur, in deren Schoß ich mich gebettet fühle, so leicht, so geborgen, so unendlich ruhig und tief verbunden mit ihrem Wesen.
Ach, wie werde ich es vermissen, dieses kostbare Glück: für einen flüchtigen Moment zu spüren, dass alles gut so ist, wie es ist – und ich ein Teil davon bin, losgelöst von meinem Ich, dem unabänderlichen Lauf der Welt ergeben.
Unmerklich ist es Nachmittag geworden. Wir müssen den schönen Platz verlassen, haben sicher noch zehn Kilometer vor uns. Peilen jetzt zwei Orte an, in der Hoffnung, einen Gasthof zu finden. Das Schlafen im Freien ist irgendwie kein Thema mehr. Das schlechte Wetter vor einigen Tagen hat uns aus dem Rhythmus gebracht. Sicherlich spielt aber auch das bevorstehende Ende unserer Tour eine Rolle. Man beginnt abzuschließen, ist nicht mehr so bereit. Morgen wird unser vorletzter Wandertag sein, und die Gedanken beschäftigen sich während des Gehens immer häufiger mit dem Wiedersehen und dem Leben, in das man zurückgleiten wird – mit dem Grenzübergang. Es ist wie zu Beginn ein banges Erwarten, das sich vermengt mit der Freude auf das Zusammentreffen mit der Familie und den Freunden. Noch ist es nicht so weit, aber ich spüre: Unser Universum beginnt zu schrumpfen.
Im nächsten Ort erwerben wir in einem kleinen Einkaufsladen eine Apfelschorle und streben einer Bank zu, die inmitten des Dorfes auf einem Spielplatz steht.
Müdigkeit überfällt mich. Ich packe mich einfach auf den Rasen vor der Bank und döse ein wenig. Der Spielplatz ist verwaist. Ein altes Mütterlein schlurft gebückt am Zaun entlang und äugt verstohlen herüber. Ist ja bestimmt auch eine Seltenheit, dass hier zwei gestandene Männer platt auf dem Rasen liegen und dösen.
Wir brechen auf zu unserer letzten Etappe an diesem Tag – nach Bernbeuren, wo wir nächtigen wollen.
Die beiden Gasthöfe dort haben natürlich geschlossen, und so müssen wir uns durchfragen und kommen am Ende in einer kleinen Pension am Rande des Dorfes unter.
Nun sitzen wir im Garten unserer Gastgeberin. Die späte Sonne wirft ihr goldgelbes Licht durch eine Lücke im Wolkendach auf ein gegenüberliegendes Gehöft. Drum herum liegt alles im Schatten, und dahinter steht, wie eine Wand, ein schwarzer Himmel. Der Kontrast schafft eine unwirkliche Plastizität auf der sonnenbeschienenen Fläche vor uns, so dass die Dinge dort, trotz einiger Entfernung, zum Greifen nahe scheinen.
Wir haben Hunger, und unsere Wirtin scheint das zu spüren. Eigentlich bräuchte sie uns nichts anzubieten, denn sie betreibt eine Frühstückspension. Aber es ist ihr ein Bedürfnis, uns satt zu bekommen. Wiedermal werden wir von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen überrascht.
„Wer von Hamburg bis hierher gelaufen ist, hat ein gutes Essen verdient. Ich könnte Ihnen selbstgemachten
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