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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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diese anstrengende Strecke schnell hinter uns zu bringen.
    In dieser Phase konzentriert sich alles auf das Gehen: Tempo halten, einen Rhythmus finden und ihn verinnerlichen. Das dumpfe Knallen der Stiefelabsätze auf dem Asphalt und das scharfe Stakkatoklacken der Metallspitze der Wanderstöcker reihen sich synkopisch versetzt aneinander, schaffen einen eigenartigen Sound, der sogar die Lerchen zu einem verwunderten Innehalten in ihrem inbrünstigen Gesang veranlasst. Es zählt nur noch das Vorankommen, das Wegtreten von Strecke, beherrscht von dem Wunsch, die Kuppe des nächsten Hügels zu erreichen, um dann hoffentlich einen Blick auf eine Gegend zu richten, die einen wie einen Magneten anzieht, so dass das Wandern wieder leichter wird.
    Ständig gegen das Bedürfnis ankämpfend, sich am Straßenrand niederzulassen, um sich auszuruhen und nie wieder aufzustehen, erreichen wir erschöpft das Ende der Steigung. Mein Herz macht einen Hüpfer. Vor uns liegt der Thüringer Wald, und hinter einem gelbleuchtenden Rapsfeld erhebt sich auf einer vorstehenden Flanke die Wartburg. Weit streckt sich der blaugrün schimmernde Höhenzug nach Osten und gibt die Richtung unserer Route für die nächsten Tage vor. Ein weiteres Mittelgebirge wartet auf uns und weckt unsere Abenteuerlust.
    Nach einer Pause in einem kleinen Örtchen ohne Gasthof und Einkaufsladen – lediglich eine Tankstelle hatte geöffnet – stehen wir unmittelbar hinter dem Dorf vor einer gewaltigen Baustelle. Eine riesige Fläche hat man dort eingeebnet und die Erde zu mächtigen Haufen zusammengeschoben – eine rotbraune, lehmige Fläche, die von über zwei Meter breiten und ein Meter tiefen Abflusskanälen durchzogen wird, in denen schlammiges Grundwasser steht. Hier wird ein neuer Ortsteil aus dem Boden gestampft. Die Straßenverläufe sind bereits vorplaniert und Areale, auf denen Gebäude entstehen sollen, mit Hölzern abgesteckt.
    Hinter der Brache, in vielleicht 500 Metern Entfernung, können wir das Wäldchen ausmachen, an dem unsere Route entlangführt. Wir müssen hier durch und steuern in gerader Linie unser Ziel an. Umgehen Geröll und Felsbrocken, stolpern über Erdklumpen und versinken im Lehm und Schlamm. Die Erde bleibt an den Sohlen haften. Bald haben wir sie meterhoch unter den Stiefeln und können kaum noch laufen. Immer wieder versuche ich, mit einem meiner Wanderstöcker die Klumpen zu entfernen. Dabei winkele ich ein Bein an, stütze den Fuß auf das Knie des anderen Beins und drücke seitlich mit dem Stock gegen die an der Sohle haftende Erde. Das ist gar nicht so einfach, wenn man nur auf einem Bein steht und dabei noch einen schweren Rucksack trägt. Hüpfend versuche ich das Gleichgewicht zu halten. Das klappt auch meistens, bis ich in einer Furche umknicke. Bratz, haut es mich hin und in den Dreck. Zugeschlammt richte ich mich fluchend wieder auf und trabe weiter. Der Schweiß treibt Schlieren in die Dreckfladen auf der Haut, perlt in die Augen und brennt wie Feuer, ebenso wie die Sonne über der wüsten Fläche, die wir zu durchqueren suchen.
    Ein quer verlaufender Graben versperrt uns den Weg. Vorsichtig steige ich hinunter, finde im Wasser einen Stein, der Halt bietet, setze einen Fuß auf und schwinge mich hinüber. Martin folgt mir. Auch ihm gelingt der Abstieg. Doch beim Hinüberschwingen rutscht er weg und platscht in den Dreck, hängt auf allen Vieren am Hang, kann aber vermeiden, auf seinem mächtigen Bauch nach unten in die braune Soße zu rutschen. Mit vereinten Kräften schafft er es schließlich ans andere Ufer – Matsch und Modder an Händen, Armen und Beinen.
    „Das wird schon trocknen, mein lieber Martin. Kuck, bei mir wird der Dreck schon rissig.“
    Schadenfroh grinse ich ihn an, nun haben wir beide das gleiche Outfit.
    So geht es weiter über den zerfurchten Acker und durch glitschige Kanäle, bis wir schließlich kurz vor dem Wäldchen eine Wiese erreichen. Wieder mal hat uns eine Baustelle, wie im Harz, den Weg vermasselt, und es sollte nicht das letzte Mal sein.
    Hinter dem Wäldchen liegt im Tal, eingeschmiegt in eine Einbuchtung des Thüringer Waldes, Eisenach. Stolz thront die Wartburg auf dem Hausberg der Stadt, und etwas weiter links erhebt sich der Gipfel des über 900 Meter hohen Großen Inselberges. Ein schmales Wolkenband streckt sich über den Mittelgebirgszug, die Luft ist diesig und flimmert über der Stadt.
    Es ist gar nicht so einfach, zu Fuß in eine größere Stadt zu gelangen. Fußgängerampeln

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