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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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Kirchenorgeln und die regionale Geschichte, und er trifft auf offene Ohren. Mit Begeisterung erzählt uns der ehemalige Reisebusfahrer von seinen Fahrten und den Aufenthalten in Kirchen, in denen er seine Reisegesellschaften mit seinen Orgelimprovisationen verzaubert habe.
    Noch heute begleite er Gottesdienste in den umliegenden Kirchen und liebe dabei besonders das Spielen zu Beginn und am Ende der Andacht, wo er freie Entfaltung für seine Improvisationen habe.
    Seine Augen leuchten, als er merkt, dass wir vom Fach sind, die klassische Musik lieben, und insbesondere Martin ein Orgelkenner ist. Hin und her wogt das Gespräch, die Zeit vergeht wie im Flug. Mittlerweile ist die Sonne hinter einem Bergkamm verschwunden. Ein zweites Bier wird gereicht und dazu ein Schnaps. Der Freund des Hauses hat die Runde verlassen, und die Wirtin kümmert sich um zwei Holländer, die verspätet in der Pension eingetroffen sind.
    Von der Schnitgerorgel, der Angsterorgel, den Orgeln von Riepp und Silbermann, von Bach, Böhm, Reger und vielen anderen großen Orgelwerk-Komponisten ist die Rede. Mich fasziniert die Leidenschaft und die Sachkenntnis unseres Gastgebers, seine Begeisterung für die Musik und wie er davon erzählt. Nach all den Tagen einsamen Wanderns ist dieser Abend ein Genuss, eine Begegnung der besonderen Art mit einer Sympathie füreinander, die körperlich spürbar ist.
    „Jungs, ihr müsst was essen. Es ist ja schon 21 Uhr durch. Ich fahr’ euch hinauf zur Geißenalm. Rufe aber vorsichtshalber vorher an.“
    Während der kurzen Fahrt erklärt er uns ausführlich den Rückweg und entlässt uns an der Alm, einer bayrischen Holzhütte mit einem breiten, schnitzwerkverzierten Balkon unter dem ausladenden Giebeldach.
    Innen schrammelt Alpenmusik durch die dunkle, mit groben Holztischen ausstaffierte Gaststube. Bilder von Bergbesteigungen in den Alpen, Hirsch- und Rehgeweihe schmücken die Wände. Ein Wirt mit Filzspitzhut, Lederhose und verzierten Hosenträgern serviert uns die Hüttenmahlzeit: Bratkartoffeln mit Rührei und Schinken.
    Eine bayrische Hütte im Thüringer Wald mit einem verkleideten Rulaher Burschen, das ist wie Weißwurst an der Ostsee im Dirndl serviert. Dennoch, die Stimmung ist bombig.
    Zum Abschied übermittelt uns der Wirt einen Gruß an den orgelspielenden Busfahrer. Er hält große Stücke von ihm.
    „Der spielt auch schwere Literatur, das kann ich euch sagen“, gibt er uns mit auf den Weg.
    Spät kehren wir heim, wir zwei Wanderer, beseelt und glücklich in einer dunklen, sternenklaren Nacht. Jeder Tag hat seine eigene, besondere Note und ist so reich an Leben und doch so einfach. Über weite Strecken passiert oft nicht viel, außer dass ständig die Kulisse wechselt. Dadurch wird aber eine Spannung aufrechterhalten, die es im Alltagsleben so nicht gibt.
    Eine Wanderung erzeugt ein Kraftfeld, welches dich nach und nach durchdringt. Es besteht aus Abenteuerlust, Neugier, Spiritualität, emotionalen Höhen und Tiefen, körperlichen Anstrengungen und Leiden und einem Meer von Gedanken. Daraus erwächst eine lebensbejahende Energie, die sich langsam auflädt und deren Entladung als ein berauschender Glückszustand empfunden wird.
    Eine Wanderung ist eine Hommage an das Leben und die Natur.

A UF DEM R ENNSTEIG
    SONNTAG, 11. MAI
RUHLA – NESSELBERGHAUS (THÜRINGER WALD), 32 KM
    Pfingstsonntag, die Glocken läuten, eine wärmende Sonne scheint in unser Zimmer. Flugs sind wir startbereit und gehen die Stiege hinunter in den Garten. Das Glockengeläut wird lauter. An dem gedeckten Tisch wartet unser Gastgeber, neben ihm ein Radio, aus dem nun das Orgelvorspiel eines Pfingstgottesdienstes erschallt. Er hat das für uns arrangiert, das sieht man an seinem stolzen Blick.
    Sofort ist der Faden wieder aufgenommen, und das gemeinsame Frühstück wird nun bestimmt von einem Vortrag über die Geschichte des Coburger Landes, aus dem er stammt und das wir durchlaufen werden.
    Seit 1.500 Jahren siedeln hier die Franken, und bereits im 16. Jahrhundert wurde dieses Gebiet protestantisch – 1530 hielt sich Martin Luther während des Augsburger Reichstags auf der Veste Coburg auf. Von Herzögen und ihren Frauen ist die Rede, von Intrigen und politischen Ränkespielen.
    Albrecht, so der Name unseres Gastgebers, ist beschlagen und in seinem Element. Er erzählt so interessant, dass ich mich nicht langweile und entspannt das Frühstück in der Morgensonne unter dem blauen Himmel genießen kann. Natürlich sprechen wir

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