Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Worte.
Das Gehen und Schauen, die Gespräche und Gedanken sind tatsächlich alles, was den Tag ausmacht. Kein PC, Fernseher, Kino, Radio oder Telefon, keine Post oder Zeitung, kein Buch, keine Musik, kein Klavier, selten Autos, Geschäfte oder Wirtshäuser und die meiste Zeit – außer uns – keine Menschen, keine Informationen, keine Small Talks. Und doch oder vielleicht gerade deswegen ist der Tag mit einer Zufriedenheit gefüllt, die zu erreichen ohne all die Dinge zu Hause unvorstellbar ist. Beim Wandern ist man wohl dem Glück ein wenig näher.
Wir befinden uns im Anmarsch auf das Nesselberghaus, unserer nächsten Unterkunft, als ich plötzlich entsetzt an meinem Bauchtaschenset ins Leere greife. Meine Box mit dem Fernglas, einer kleinen, aber effektiven Taschenlampe und einem Schweizer Messer ist weg. Das gibt’s doch nicht. Jedes Mal kontrolliere ich an mir und mit einem gezielten Blick auf meinen Rastplatz, ob alles am Mann ist. Ich bin überzeugt, das auch diesmal getan zu haben. Das ist kein Pappenstiel, das sind Hunderte von Euros, die da im Thüringer Wald auf einer Wiese, unserem letzten Rastplatz, liegen. Ganz heiß wird mir, und der Frust durchfährt mich. Wie konnte das bloß passieren? Die Tasche muss dort liegen, die kann doch nicht einfach während des Wanderns abfallen, das hätte ich doch gemerkt.
Knapp zwei Stunden sind wir seitdem unterwegs. Soll ich umkehren? Das sind hin und zurück vier Stunden Marsch und noch mal weitere sechs Kilometer bis zum Nesselberghaus. Es ist bereits halb sechs.
„Martin, lass uns weitergehen. Schwund ist bei jeder Sache.“
Ich betrachte das Ganze als einen Beitrag zur Archivierung von Zivilisationsgegenständen für die Nachwelt, denn so schnell wird niemand unseren Rastplatz entdecken. Mein Ärger hält sich nicht lange, was geschehen ist, ist geschehen. Zu Beginn der Wanderung wäre ich wahrscheinlich noch zurückgelatscht und hätte die Anstrengung in Kauf genommen.
Meine Güte, was ist mit mir passiert, bin ich nun ganz gegen mein Naturell ein Vertreter der Leichtigkeit des Seins geworden? Wäre ja eine schöne Wandlung. Vielleicht mutiere ich ja auch noch zu einem Samariter und beginne das Wenige, was ich mit mir trage, nach und nach zu verschenken. Wie auch immer, Wolfgang, pass jetzt besser auf deine Sachen auf, noch mehr Schwund tut nicht not!
Abseits vom Rennsteig, an einer ins Tal führenden Landstraße, liegt das Nesselberghaus am Rande eines großen Parkplatzes. Ein Kiosk, einige Bänke und Tische und ein paar verspätete Pfingstler verlieren sich auf dem Platz. Wir hocken uns hin und bestellen unser obligatorisches Feierabendbier. Ich gehe zwischendurch hinein und melde dem Wirt unser Kommen. Er überreicht mir die Zimmerschlüssel und weist mich gleich darauf hin, dass die Küche geschlossen sei. Wir sollen draußen unser Glück versuchen.
Mein lieber Mann, der Laden muss ja brummen, wenn man so früh seine Gäste abweisen kann.
Ich hocke mich wieder zu Martin und beäuge lustlos die mickrige Speisekarte am Kiosk. Wie soll man denn von einer Bratwurst oder Frikadelle satt werden. Vielleicht beides und dann mit ordentlich Senf als Geschmackverstärker – die Frikadelle könnte ja noch mal in die Fritteuse, damit sie zumindest außen warm ist. Hinterher zwei Schnäpse, damit sich das Ganze auch gut verteilt.
„Wollt ihr was essen? Drinnen gibt’s nichts mehr!“, spricht uns die Bedienung an, als sie das zweite Bier serviert.
„Ach was! Und das soll unser Pfingstmahl sein?“, entgegne ich, während ich mit dem Finger auf die am Kiosk angeschlagene Speisekarte zeige. Sie betrachtet uns, unsere Rucksäcke und wirft einen Blick hinüber zu ihrem Partner.
„Ich kann euch ja drinnen noch was kochen. Muss eh dort noch Getränke ausschenken. Der Alte ist ja schon abgehauen. Geht erst mal duschen, und dann sehen wir weiter.“
Mann, was haben wir beide für eine positive Ausstrahlung, oder ist etwa der Heilige Geist, der zu Pfingsten die Leute umtreibt, bereits in diese Frau gefahren und veranlasst sie, Gutes zu tun? Uns soll’s recht sein.
Unter einem den Gastraum beherrschenden Bild einer Mandoline spielenden südländischen Schönheit, bekleidet mit einem offenherzigen, weißen, trägerlosen Kleid und einem lose über Arme und Rücken geschwungenen, roten Tuch, bekommen wir unser Abendessen serviert: Jägerschnitzel mit Bratkartoffeln – ein Festmahl. Jetzt noch einen Kandelaber auf den Tisch, das elektrische Licht aus und eine
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