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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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Kampf um die Plätze vorüber ist und das Plappern erstirbt, setzt sich die Musik durch, und es kommt so etwas wie Stimmung auf. Hier und dort klatscht man, und der eine oder andere Körper beginnt rhythmisch zu zucken. Na ja, das Brüllfest ist es nicht, aber immerhin.
    Wir beenden unsere Rast und marschieren über den zugigen Parkplatz. An seinem Ende nimmt uns wieder der Wald auf, der die Musik und das Geschnatter verschluckt und den Blick über die breite Wunde, die man ihm durch den Parkplatz zugefügt hat, vergessen lässt. Es geht nun auf den großen Beerberg zu, der mit knapp tausend Metern die höchste Erhebung des Thüringer Waldes darstellt. Der Weg steigt stetig an und fordert unsere Reserven heraus.
    Die Pause hat mir nicht gut getan. Ich komme irgendwie nicht mehr richtig in Schwung, fühle mich müde und zerschlagen, ja fast ein wenig deprimiert. Der Rucksack drückt mal wieder, und an den Füßen zwackt es an den wunden Stellen. Mühsam schleppe ich mich den langen Anstieg hinauf.

    Der Akku ist leer, der Rucksack schwer,
Ach, wenn mein Martin doch ein Packesel wär,
    fährt es durch mein müdes Hirn – ich muss mich hinlegen.
    „Martin, ich brauch eine Pause, lass uns hier rasten. Gib mir eine halbe Stunde.“
    Er ist sofort einverstanden und packt seine Rätselhefte aus, während ich mich auf einem Rasenstück ablege.
    Die Anstrengungen und die Strecke haben mich melancholisch gemacht. Der Wald ist durch Windbrüche dezimiert, klaffende Wunden haben sie in seinen Bestand gerissen, und Holzfahrzeuge haben bei den Aufräumarbeiten die Wege zerlegt. Das war wohl immer schon ein Problem im Thüringer Wald. Vorhin passierten wir ein Denkmal, das 1981 zu Ehren zehntausender Waldarbeiter, freiwilliger Helfer sowie sowjetischer Soldaten errichtet wurde, die nach dem Windbruch von 1946 4,7 Millionen Festmeter Schadholz vor dem Borkenkäfer retteten und 21.000 Hektar Kahlfläche wiederaufgeforstet haben. Durch diese Aktion wurde der mittlere Thüringer Wald gerettet.
    Wenig später überquerten wir den Brandleitetunnel, der in drei Kilometern Länge die Eisenbahn durch das Mittelgebirgsmassiv führt, erbaut in den Jahren 1881-1884.
    Die Müdigkeit vertreibt die Gedanken und die Melancholie – ich schlafe ein.
    Diese verspätete Mittagsruhe war so was von nötig. Wie neu geboren erwache ich nach 20 Minuten, bereit für den Anstieg auf den Gipfel und für die restlichen Kilometer des Tages.
    Der große Beerberg bietet eine Aussicht nach Südwesten, über Zella-Mehlis/Suhl hinweg in die entfernte Rhön. Es ist diesig, und die Sonne scheint uns ins Gesicht, so dass die weite Landschaft in dem blendenden Licht und Dunst zerfließt. Zwei Jungs spielen an einer Felsmauer zwischen abgelegten Rucksäcken, von denen einer ein derartiges Volumen hat, dass er eigentlich nur von einem Esel getragen werden kann. Die Jungs sind mit ihren Eltern auf dem Rennsteig unterwegs, kommen aus Berlin. Wenig später treten Vater und Mutter aus dem Wald. Sie haben einen Rastplatz gefunden und wollen hier oben übernachten. 25 Kilo schleppt der Vater mit sich, inklusive Zelt, Kocher und Geschirr. Die Familie macht einen guten Eindruck, und die Jungs scheinen das Abenteuer zu genießen.
    Ein wenig plauschen wir noch vergnügt miteinander, dann geht jeder seines Weges.
    Wir erreichen gegen halb sieben Schmücke, ein potthässliches Plattenbauhotel aus den Zeiten der DDR, das ein wenig aufgehübscht wurde, aber dennoch so was von deplatziert wirkt, dass man es am liebsten sprengen würde. Wendet man sich aber von dem Bau ab und blickt nach Osten, so schaut man über eine sanft abfallende Wiese weit in den Thüringer Wald hinein.
    Wir setzen uns direkt an die Wiese an einen Tisch. Die Strahlen der tief hinter uns stehenden Sonne vergolden das Panorama. Hinter dem hellen Grün der Wiese vor uns winden sich die dunklen Fichtenwälder unablässig durch Täler und über Höhen, ab und zu durchbrochen von Felsvorsprüngen, bis sie sich in der blauschwarzen Färbung der Bergrücken am Horizont verlieren. Darüber – in der Neigung des Himmels zum Horizont – ein zartes, schon leicht rosa gefärbtes, lichtes Wolkenband und über uns der blaue Himmel. Ein Bild von herzzerreißender Schönheit, das mich in Hochstimmung versetzt. Ich kann mich gar nicht satt sehen und bin glücklich – durch und durch.
    Wir ordern jeder ein Bier und dann noch eines, quasseln und bestaunen immer wieder die mit dem abnehmenden Licht sich magisch verändernde

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