Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Oberfläche sich der Wald spiegelt. Wir schlagen uns zu seinem Ufer durch, dorthin, wo ein Stück Wiese sich sanft dem See zuneigt. Martin schwimmt leidenschaftlich gern und beschließt, ein Bad zu nehmen.
Aus dem Wald treten plötzlich zwei Männer und eine Frau und gesellen sich zu uns. Neugierig betrachten sie meinen Wanderbruder, der inzwischen in Badehose dasteht.
„Willst du da wirklich rein? Das ist weit und breit der kälteste See. Der hat nicht mehr als zehn Grad.“
Martin ficht das nicht an. Er hat ein gutes Polster, macht sich nass und wirft sich in die Fluten, schreit wonnig auf und schwimmt davon. Fast zwei Minuten hält er es im Wasser aus, quietschvergnügt herumpaddelnd wie eine beleibte Robbe.
Derweil unterhalte ich mich mit den dreien. Sie sind unterwegs zu einem Pfingstvergnügen, zu einem Festzelt auf einer Wiese, wo sich die umliegenden Dörfler treffen, um zu feiern. Es wird heimisches Bier ausgeschenkt, eine Kapelle spielt auf, und das geht so bis tief in die Nacht. Da hätten wir ja unser Fest, und ich sehe mich bereits dort: eine Maß Bier in der Hand, ein paar hübsche Mädels am Tisch, und ab geht die Post. Doch der Gedanke verblasst wie eine Sternschnuppe und die Vernunft siegt, wie so oft in meinem Leben.
Ich bin wohl kein Goldmund, der Lebemensch aus Hermann Hesses Roman „Narziß und Goldmund“ – ein Lebenskünstler, der seinen Intuitionen folgt, ganz im Gegensatz zu Narziß, der diszipliniert die Entbehrungen eines Mönches auf sich nimmt und es im Kloster bis zum Abt bringt. Irgendwo dazwischen befinde ich mich, dem Narziß oft näher als seinem Gegenpart.
„Wo ist das Problem, Wolfgang? Feiere und fahr morgen mit dem Bus bis zum Ausgangspunkt der nächsten Tagesetappe. Du hörst ja nicht deswegen auf zu wandern, pflückst nur eine Blume am Wegesrand. Nimm, was der Tag dir bietet, lass dich von ihm verführen. Das ist doch das, was dich das Wandern bisher gelehrt hat!“, raunt Goldmund in mir.
„Der Weg hat Priorität, und ohne Disziplin wirst du ihn nicht schaffen, jedenfalls nicht so, wie du es dir vorgenommen hast“, antwortet Narziß.
So mache ich es mir immer schwer. Will feiern und will wandern, und obwohl beides geht, bringe ich es nicht zusammen.
Oft ist es in Wirklichkeit aber gar nicht ein Entweder-Oder, vor dem man steht. Es existiert nur so im Kopf, weil man die Dinge zu streng sieht, nicht spontan genug ist. Ich muss darüber mal in Ruhe nachdenken. Da kann ich vielleicht noch was lernen und habe anschließend nicht mehr so häufig Kopfschmerzen.
Martin hat sich derweil wieder angekleidet, und ich verscheuche das Thema aus meinem Kopf. Wir werden die Tagesetappe fortsetzen und machen uns auf den Weg, begleitet von den drei Thüringern. Die kennen einen direkten Anstieg zum Rennsteig, der ohne Markierungen über Stock und Stein den Abhang hinaufführt. Ohne die schweren Rucksäcke und ausgeruhter legen unsere Begleiter ein affenartiges Tempo vor. Natürlich will ich mir keine Blöße geben und stratze schwer atmend hinterher, mit großen Schritten, manchmal stolpernd, manchmal wegrutschend. Gott sei Dank fällt die Frau zurück, und der gesamte Trupp drosselt daraufhin das Tempo.
Am Rennsteig verabschieden wir uns und folgen dem Weg nach Osten. Es ist fast Mittag, und es sind noch 24 Kilometer bis Schmücke.
Nach diesem unruhigen Vormittag laufen wir die nächsten eineinhalb Stunden recht einsilbig nebeneinander her, dann und wann einem Wanderer begegnend, einmal sogar jemandem hoch zu Ross. Irgendwann nimmt die Frequenz von Spaziergängern stetig zu, bis wir in einem Pulk von Menschen vor der Thüringer Hütte am Grenzadler stehen, einer Biathlonstation in der Nähe von Oberhof. Ein Parkplatz, so groß wie vier Fußballfelder und durchschnitten von einer Straße, breitet sich unterhalb des Restaurants aus. Der Zauber des Thüringer Waldes ist wie weggeblasen, unterstützt von einer Combo, die auf der Terrasse vor der Hütte sich mächtig ins Zeug legt und mit deutschen Schlagern gegen den steifen Ostwind anspielt. Jetzt haben wir unser Pfingstfest! Also her mit dem Bier und neben der Kapelle Platz genommen, dazu eine üppige Gemüsesuppe mit einer fetten Bockwurst.
Auf dem Parkplatz quellen aus den Bussen Lavaströme von Senioren, schwappen über das Restaurant und erkalten als plappernde und blubbernde Masse auf den Stühlen und Bänken der Gastronomie. Der Lärm ist beträchtlich, und die Musiker mühen sich dagegen an. Doch allmählich, als der
Weitere Kostenlose Bücher