Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
nannten die Rinde allerdings nicht bloß quina, sondern quina-quina (Rinde der Rinden); etwa in dem Sinne, wie man heute sagt: Creme de la creme – also das Beste überhaupt! Darin deutet sich eine gewisse Wertschätzung an; merkwürdig ist nur, dass die uns bekannte Hauptanwendung dieser Rinde, die Behandlung der Malaria, in Südamerika bis zum Eintreffen der Spanier unbekannt war. Quina-quina, beziehungsweise das darin enthaltene Chinin, scheint also von den Ureinwohnern schon vor der Malariaepoche für andere medizinische Zwecke verwendet worden zu sein: Es wirkt schmerzstillend, betäubend, senkt das Fieber und fördert die Wehen, bei höherer Dosierung wirkt es als Abtreibungsmittel. Außerdem erhöht es in kleinen Dosen die körperliche Leistungsfähigkeit.
Es gibt nicht nur einen Chinarindenbaum, sondern etwa vierzig verschiedene, schwer unterscheidbare und miteinander Hybride bildende Arten; die zusammenfassende Gattung nannte der Begründer der modernen Botanik, der Schwede Lineé, Cinchona. Dieser Name hat nun wieder nichts mit der Rinde quina-quina zu tun, sondern stammt von der ersten Europäerin, die erfolgreich mit Chinarinde behandelt wurde. Diese Dame war die Gattin des Vizekönigs von Peru, des spanischen Granden Don Luis Fernandez de Cabrera Bobadilla y Mendoza; die Gräfin war an dem aus der Heimat wohlbekannten und gefürchteten Wechselfieber erkrankt. Als letztes verzweifeltes Mittel verfiel der Arzt Juan de Vega auf die Idee, aus dem 800 Kilometer entfernten Loxa (im heutigen Ecuador) die Wunderrinde in die peruanische Hauptstadt in den Palast von Lima zu holen; die Dame trank einen Absud der Rinde – und wurde geheilt! Seither nannte man es »Gräfinnenpulver«. Dr. de Vega kehrte zehn Jahre später nach Spanien zurück, wo er das Pulver um einen Goldsouvereign pro Unze an die Vermögenden verkaufte. In der Folge kümmerte sich der in Südamerika sehr aktive Jesuitenorden um das Sammeln und den Export der Rinde, was ihr den Beinamen »polvo de los jesuitos« (Jesuitenpulver) einbrachte.
Um die Bedeutung dieses Heilmittels richtig einzuschätzen, muss man sich über die Krankheit klar werden. Malaria ist für den Westeuropäer eine Sache, der er sich widmen muss, wenn er eine Urlaubsreise in die Tropen plant – in Form einer lästigen Malariaprophylaxe mit Einnahme scheußlicher Tabletten; ansonsten hat diese Krankheit im Norden der Welt höchstens anekdotische Evidenz: Der oder die soll nach der Rückkehr von einem Trip trotz Prophylaxe einen »Schub« gekriegt haben; oder die Geschichte von der einen Mücke, die während der Zwischenlandung durch die geöffnete Flugzeugtür eingedrungen ist und einen Passagier infiziert hat … Für die Bewohner des Südens sieht das alles ein bisschen weniger anekdotisch aus.
Über die Malaria haben wir schon einiges im DDT-Kapitel erfahren; jedes Jahr erkranken zweihundert Millionen Menschen daran, ein bis zwei Millionen sterben. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Gebieten mit Malariarisiko. Beim wohl prominentesten Opfer dieser uralten Menschheitsgeißel wurde die Malaria erst 2010 diagnostiziert, beim Pharao Tut-anch-Amun, dessen goldene Totenmaske noch nach 3300 Jahren als Sinnbild der ägyptischen Kultur verstanden wird. Zwei Jahre dauerten die Untersuchungen und DNA-Analysen der Mumie, dann stand es fest: Er wurde nicht ermordet, sondern litt als Frucht einer Geschwisterehe an mehreren Erbkrankheiten; ein schwer Behinderter, den die Malaria erlöste, da war er erst neunzehn.
Die Bedeutung der Malaria für den Gang der Weltgeschichte kann gar nicht überschätzt werden. Nach den Perserkriegen im 5. Jahrhundert v. Chr. bauten die Griechen ihre Flotten kräftig aus, was ungeheure Mengen an Holz erforderte. Die Abholzung weiter Gebiete in Griechenland fiel schon Plato negativ auf; sie führte aber nicht nur zur Verkarstung der Gebirge, sondern die erhöhte Schwemmfracht der Flüsse ließ die Täler und Flussmündungen versumpfen – so entstanden eben jene Gebiete, in denen sich die Anophelesmücke besonders wohlfühlt, die Malaria breitete sich in Attika sehr schnell aus. An vielen Stellen der kleinasiatischen Küste bildeten sich aus dem mitgeführten Material der Flüsse flache Dämme, davor »ausgesüßte« Lagunen, vom Meer mehr oder weniger getrennt – ideale Brutgebiete für die Mücke, die für die Ablage ihrer Eier auf stehendes, sauberes, vor allem aber nicht-salzhaltiges Wasser angewiesen ist. Viele Küstenstädte fielen der
Weitere Kostenlose Bücher