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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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sich doch der architriklinos (»Obertruchsess« und nicht »Speisenmeister«, wie Luther übersetzt), dass der Bräutigam erst den schlechten, dann den guten Wein kredenzt, obwohl man es doch gemeinhin umgekehrt macht, weil die Gäste in ihrem Suff den Unterschied sowieso nicht mehr merken. Auch hier ist die Trunkenheit unausweichlich und integraler Bestandteil der Geschichte; da ist kein vornehmes Nippen, kein »Gläschen in Ehren« bei dieser Hochzeit, sondern eine veritable Sauferei – was sagt Jesus dazu? Keinen Ton.
    Er hat zum Alkohol überhaupt eine erstaunlich liberale Haltung, adelt den Wein im letzten Abendmahl dann zu einem religiösen Symbol ersten Ranges – von daher war das Christentum untrennbar mit einer Kultur des Weines verbunden. Der Weindunst durchzieht die Kulturgeschichte des Abendlandes. Wann immer vom Saft der Reben die Rede ist, versäumen die Autoren nicht, auf die tief religiösen Wurzeln bei den alten Griechen zu rekurrieren; Dionysos nicht nur als Gott des Weines, sondern auch als Prinzip der Grenzüberschreitung des gewöhnlichen menschlichen Daseins, wozu eben Dionysos verhilft, wenn man ihn »in sich hat« – vom griechischen entheos – »gottvoll« leitet sich der »Enthusiasmus« ab, den wir heute bei vielem gerne hätten und vermissen.
    Die alten Germanen waren nicht »die ersten Deutschen«, wie bis weit ins 20. Jahrhundert geglaubt wurde, aber was die Trinkerei betrifft, zieht sich eine beunruhigende Kontinuität durch die Zeitläufe. Schon dem Römer Tacitus, der in seiner »Germania« seinen verweichlichten Landsleuten den Typus des edlen Wilden aus den nördlichen Urwäldern entgegensetzte, konnte bei aller Sympathie nicht übersehen, dass seine Lieblinge Tag und Nacht durchtrinken konnten. Tatsächlich ließen sich germanische Edle in Rom »Zutrinkgläser« anfertigen, die keinen Fuß hatten, sondern unten abgerundet waren, sodass man sie nicht hinstellen konnte – nur leer getrunken verkehrt herum auf die Öffnung. Solcherart war sichergestellt, dass der Fremde, dem man das Glas kredenzt hatte, es auch austrinken und damit den Bund der heiligen Gastfreundschaft besiegeln musste, der ihn von aggressiven Handlungen abhielt. Die Sitte des gemeinsamen Trinkens, des Gelages, sehen wir wieder im frühen Mittelalter, wo sie die Bindung zwischen Grundherr und Hörigem bekräftigt; das gemeinsame Trinken konnte nicht verweigert werden, die soziale Ordnung hing daran – »Für mich bitte nur Mineralwasser!« hat es nicht gegeben! Die mythische Bedeutung gemeinschaftlichen Alkoholgenusses entstammt der germanischen Frühzeit, die alten Götter waren auch Götter des Rausches, es fehlt in diesem Pantheon eine rationale, apollinische Instanz. Dem entspricht die Jenseitsvorstellung von Walhall als Monstergelage mit periodischen Raufereien, eine Art nie endendes Oktoberfest.
    Das Festgetränk der Germanen war der Met, der aus Honig, Wasser und Kräutern hergestellt wird, er war wegen der komplizierten Honiggewinnung teuer und selten. Man musste die Honigwaben, wie noch Jahrhunderte später, aus den Behausungen wilder Bienen herausschneiden; diese Wohnungen in alten Bäumen in beträchtlicher Höhe über dem Erdboden zu finden, war schwer genug; ganz zu schweigen von der Schwierigkeit, an den Honig heranzukommen, ohne tot gestochen zu werden. Im Alltag tranken die Germanen eine Art Leichtbier, das ohne Hopfen gebraut wurde, ein armseliges Gesöff mit minimalem Alkoholgehalt. Um sich zu betrinken, musste man gewaltige Mengen konsumieren. Als die Germanen dann mit dem viel stärkeren Wein der Römer in Kontakt kamen, den sie nicht gewohnt waren, erla gen sie exzessiver Berauschung wegen der Kombination von Trinkgewohnheit und neuem Getränk, wie berichtet wird: Wer Falerner wie Limonade runterschüttet, hat sich die Folgen selber zuzuschreiben.
    An den Wein war schwer heranzukommen. Kaiser Domitian (81 bis 96 n. Chr.) hatte den Weinbau in den Provinzen beschränkt, weil er den Getreideanbau fördern und den italienischen Weinbau schützen wollte. Dem Soldatenkaiser Probus, der von 276 bis 282 regierte, wird von der anonym verfassten »Historia Augusta« die Aufhebung des Anbauverbots und die Förderung des Weinbaus zugeschrieben. Gleiches berichten die spätantiken Geschichtsschreiber Aurelius Victor und Eutropius. Seither gilt Probus als der Menschenfreund, der den Weinbau nördlich der Alpen eingeführt hat, obwohl dieser nachweislich schon vorher existierte. Die Produktion hat aber

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