Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen
sitzen ja doch bloß da und erzählen mir was von diesem Babuschkin…“
„Bakunin!“
„Meinetwegen. Ist mir doch egal, wie der…“
„Ich bin eben anders als die anderen, Tina. Ich will nicht gleich mit jeder ins Bett – man kann sich ja auch anders miteinander beschäftigen… Herrgott noch mal – verstehen Sie mich doch!“
„Wir passen eben nicht zusammen.“
„Aber zu Nedomanski haben Sie gepaßt, was?“
„Das ist doch meine Sache!“
„Entschuldigen Sie, Tina; ich will Ihnen doch nur helfen. Ich weiß doch, was Sie zu leiden hatten.“
„Einen Dreck wissen Sie!“
„Sie nehmen mich nicht für voll, weil ich keinen Alfa-Romeo habe und keinen Swimmingpool und keine Anzüge von Cardin, das ist es. Für Sie bin ich ein impotenter Spinner – oder?“
„Aber Guido! Wir kennen uns doch schon lange genug… Sie müssen erst mal lernen, mit einem Mädchen befreundet zu sein, ehe Sie…“
„Ich brauche keine Belehrungen!“
„Ich mein’s doch nur gut mit Ihnen.“
„Nein, Tina, ich…“
Und so weiter und so weiter.
Ich klingelte, als ich sicher war, daß die nächsten Minuten kaum noch Neues bringen würden. Sofort verstummte ihr Streitgespräch. Guido öffnete mir, und beide taten so, als wäre nichts gewesen. In zwei zierlichen Tassen stand kalt gewordener Tee.
„Ich möchte die Herren nicht stören…“ Martina nutzte die Gelegenheit zum Rückzug.
„Ihre Anwesenheit würde mich niemals stören“, versicherte ich. Ich sagte es nicht nur, ich dachte es auch in diesem Augenblick. Sie trug ein himbeerrotes Minikleid aus grobem Leinen und eine hübsch durchbrochene weiße Strumpfhose, und wäre ich Eigentümer einer Strumpffabrik gewesen, ich hätte ihre Beine auf alle meine Produkte geklebt. Sie sah viel ruhiger aus, viel entspannter, viel gesünder als bei unserer ersten Begegnung. Da ich jedoch kein Strumpffabrikant bin, konnte ich ihr kein entsprechendes Angebot machen. Sie verabschiedete sich.
Dann saß ich mit Guido allein in seinem Junggesellen-Apartment und stellte meine erste Frage: „Sagen Sie, Guido, wie kommt es eigentlich, daß ein Mann wie Sie Bücher wie Die Wahl der Erben liest?“
„Ach…“ Er lockerte sich den weinroten Schlips, den er offenbar Martina zuliebe aus dem Schrank geholt hatte. Auch der graue Flanellanzug schien ihm nicht zu behagen. „Wissen Sie – um ehrlich zu sein – , je mehr man sich mit anarchistischem Gedankengut vertraut macht, desto größer wird im Unbewußten die Sehnsucht nach der heilen Welt, der Welt der Kolportageromane. Nehmen Sie mal Ganghofer, Der Dorfapostel, hier… Als er an der Kirche vorüberging, rührte er mit der Hand an die Mauer, als müßte von diesen geweihten Steinen durch die Berührung etwas auf ihn überfließen, etwas Gutes und Heiliges. Bei der offenen Kirchentür bekreuzte er sich… und so weiter. Das ist doch was – oder?“
„Ich will mal so sagen: Ich habe grundsätzlich nichts gegen eine Literatur, in der sich ein Autor noch trauen durfte, in allgemeinverständlicher Sprache von vorn nach hinten zu erzählen und sich dabei obendrein auch noch Emotionen zu leisten, ohne von den Auguren belächelt beziehungsweise in der Luft zerpflückt zu werden. Ob es gerade Ganghofer sein muß…“
Er hatte gar nicht zugehört. „… zugleich enthüllt es aber auch das ganze bürgerliche Bewußtsein: Nicht das Gesellschaftssystem ist schuld an Ungerechtigkeit, Habgier und Elend, sondern das Böse im einzelnen Menschen… So ein Unsinn!“
Ich lächelte. „Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.“
„Gehen Sie mir doch mit diesem Schein-Hamlet! Bürgerliches Theater, moralische Anstalt – Manipulation und nochmals Manipulation! Wenn’s nach mir ginge, hätten die Theater alle schon zumachen können. Ich war seit drei Jahren in keinem mehr drin. Die dicke Bäckersfrau mit der Nerzstola, Herr Verwaltungsoberamtmann im schwarzen Sonntagsanzug…“ Langsam kam er in Fahrt. „Das Theater alten Stils als gesellschaftliche Institution hat doch nur den Zweck, die Masse der unmittelbaren Produzenten unterdrücken zu helfen und dazu beizutragen, daß sie sich – haha! – »freiwillig« einer ausbeuterischen Minderheit unterwerfen. Erst wenn man diese Minderheit zum Teufel jagt… Die Zertrümmerung der allgemeinen Werte… Ich sage Ihnen, wir…“
Und so weiter und so weiter.
„… und um Max Nedomanski ist es nicht weiter schade. So müßte es allen
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