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Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen

Titel: Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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seine Ruhe vor den quälenden Fragen der Beamten zu haben? Vor Gericht zählt ja manchmal ein bei der Kripo abgelegtes Geständnis nicht allzuviel. Widerrufen kann man immer noch. Zuzutrauen war es ihm… Oder hatte er, fern aller taktischen und momentanen Erwägungen, ganz einfach resigniert? Hatte er sich in sein Schicksal gefügt und sich der Welt ergeben, die ihn ein Leben lang gepiesackt, gequält und vergewaltigt hatte? Auch das war eine Möglichkeit… Wollte er, indem er sich als Unschuldiger verurteilen ließ, vor sich selbst die innere Größe gewinnen, nach der er wahrscheinlich zeitlebens gestrebt hatte? Bei diesem Typ ist alles möglich… Oder versuchte er, sich ernsthaft einzureden, den Mord tatsächlich begangen zu haben, nur um den Rausch auszukosten, den großen (archetypischen) Peiniger eigenhändig vernichtet zu haben? Dann konnte er womöglich doch der Täter sein…
    Ich versuchte mehrmals, Borkenhagen in der Bibliothek zu erreichen, um mit ihm die aufgetauchten Möglichkeiten abzuwägen, aber jedesmal sagte man mir, er sei nicht da. Oberkommissar Mannhardt, den ich nach einiger Mühe an den Apparat bekommen konnte, bestätigte mir das, was ich aus der Zeitung wußte. Für ihn gebe es keine Zweifel mehr – Walter Nedomanski sei der Täter; Raabes Aussagen und die gefundenen Fingerabdrücke sicherten das Geständnis nach allen Seiten ab. Ich ließ nicht einen Augenblick lang durchblicken, daß ich trotz allem seine Meinung ganz und gar nicht teilte, sondern machte mich ohne viel Aufhebens auf den Weg, um den Besitzer der bei Guido gefundenen Theaterkarte zu ermitteln. Das war einfach genug, wie meine Notizen auch zeigen.
     
     
    Wer von unseren Verdächtigen hatte sich am Abend des 3. Januar zum Theaterbesuch verleiten lassen? Vor mir lag die orangefarbene Eintrittskarte, die ich unter Guidos Ruhestatt gefunden hatte.
    Eine Theaterkarte wie tausend andere auch. Gedruckt bei Stange in Berlin 61. Für verfall. Kart, kein Ersatz. Nein, verfallen war sie offenbar nicht, denn der rechte Kontrollabschnitt fehlte. Aber wie um alles in der Welt sollte ich nun herausbekommen, wer mit eben dieser Karte am 3. Januar abends Einlaß ins Schiller-Theater gefunden hatte?
    Ich brütete vor mich hin. Kein Einfall weit und breit. Der Streß ließ mich kribbelig werden. Zorn packte mich. Ich fegte meinen Zettelkasten vom Tisch. Er hatte mich so dämlich angeglotzt.
    Das Auflesen der weit im Zimmer verstreuten Zettel beruhigte mich so einigermaßen. Ich genehmigte mir einen Whisky. Aber die orangefarbene Theaterkarte blieb stumm. Sollte ich nicht besser zu Mannhardt gehen und das Denken seinen Geistesakrobaten überlassen?
    Nein.
    Das konnte ich immer noch. Ich sagte meiner Sekretärin, daß ich in den nächsten sechzig Minuten nicht zu sprechen sei: dann legte ich die Karte vor mich auf den Schreibtisch, stützte die Ellbogen auf und die Stirn in die Hände und glotzte die Karte an. Fünf Minuten vergingen. Zehn Minuten.
    Dann zündete es bei mir!
    Ich bemerkte nämlich, daß die Karte auf dem linken Kontrollabschnitt einen von oben nach unten laufenden, etwa fünf Millimeter breiten Streifen trug, der aus regelmäßig angeordneten Erhöhungen und Vertiefungen im Papier bestand – eine, könnte man sagen, waschbrettartige Prägung. Und das ließ darauf schließen, daß diese Karte von der Freien Volksbühne Berlin ausgegeben worden war! Ich schlug mir mit der flachen Hand an die Stirn. Da ich früher einmal selbst Mitglied war, hätte mir das auch eher einfallen können! In Berlin war meines Wissens folgende Prozedur verbindlich: Als eingeschriebenes Mitglied der FVB hatte man im Jahr zehn Vorstellungen zu besuchen, wobei einem das Theater und der Termin der Vorstellung jeweils auf dem Streifband des regelmäßig zugeschickten Mitteilungsblattes bekannt gemacht würden. Man hatte dann einige Zeit vor seiner Vorstellung die zuständige Annahmestelle – meist einen Tabakwarenladen – aufzusuchen und sich dort nach Entrichtung seines Beitrags die Gutscheine für die zugeteilte Vorstellung abzuholen. Mit Hilfe dieses Gutscheins konnte man sich dann im Foyer des Theaters aus aufgestellten Trommeln seine Karte bzw. zwei oder drei zusammenhängende Karten ziehen, hatte also die Chance, Plätze von der ersten bis fast zur letzten Reihe zu erhalten. Um nun dieses Lotterieverfahren gerecht abzuwickeln, wurden die Karten in der Mitte geknifft und mit Hilfe einer speziellen Zange an den Enden zusammengefügt – die

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