Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen
zwei Frauenromane: Monika erkämpft sich ihr Glück und Brich dein Schweigen, Eva-Maria. Ein junger Wellensittich, Jockei gerufen, krakeelte im Bauer. Es roch nach Bohnerwachs. Borkenhagen bekam einen Weinbrand angeboten. Als er nach Dieter fragte, sprudelte sie los.
„Dieterle – wir nennen ihn immer Dieterle, wissen Sie – also, er hat sich prächtig rausgemacht. Die Zeit bei Herrn Nedomanski ist ihm gut bekommen, verstehen Sie? Er hat Schliff bekommen, Umgangsformen; er weiß jetzt, wie man sich bewegt, ja? Ich hatte es ja schwer mit ihm, mein Mann ist ja schon 55 gestorben, ein Arbeitsunfall, von einem herabstürzenden Eisenträger erschlagen, der Ärmste, und ich war ganz allein auf mich gestellt und mußte uns beide durchbringen, verstehen Sie? Ich hab saubergemacht, mal hier, mal da – war kein Zuckerlecken, kann ich Ihnen sagen. Es ist nicht jedermanns Sache, anderen Leuten den Dreck wegzuräumen; man hat ja auch seinen Stolz, verstehen Sie?“
„Natürlich versteh ich das.“
„Aber nun sind wir ja aus dem Gröbsten heraus. Dieterle fängt am nächsten Ersten in den NEDO-Werken an, im Lager – der Bruder von Herrn Nedomanski hat sich für ihn verwendet. Wenn er tüchtig ist, kann er es bis zum Abteilungsleiter bringen. Das ist seine Chance, verstehen Sie? Bis dahin hat er ja noch mit seinem Häuschen zu tun. Meine Schwiegermutter hat ihm ihr Haus vermacht, Wittenau, Tessenowstraße 102, und da malert er jetzt rum. Das soll er ganz für sich alleine haben als sein kleines Reich, verstehen Sie?“
„Ja, ja, ich verstehe…“
„Mein Gott, macht das alles eine Menge Arbeit! Der arme Junge! Alte Leute heben ja auch allen Plunder auf, nicht wahr? Vor allem das Atelier! Mein Schwiegervater war nämlich Kunstmaler, ja? Er hat Bilder kopiert und restauriert, verstehen Sie? Da stehen mehr alte Schinken rum als in manchem Museum. Dieterle macht gerade ‘ne große Liste, was so alles da ist, dann verkaufen wir den ganzen Klumpatsch, verstehen Sie? Das wird uns ‘ne schöne Stange Geld einbringen. Na, mal muß sich ja das Glück auch den Richtigen aussuchen, und… Das war die Haustür – haben Sie gehört? Das müßte Dieterle sein…“
Wenig später saß Borkenhagen mit Dieterle am Tisch. Frau Dreyer hatte sich diskret zurückgezogen.
Dreyer trug Jeans und einen weißen Rollkragenpullover. Er hatte ein rundes, rosiges Babygesicht, zu dem die Bartstoppeln nicht recht paßten. Die Stirn war stark nach vorn gewölbt und wirkte wie ein Wulst. Das Gesicht war auffallend bleich bis auf die hektisch geröteten Wangen. Dunkelblondes Haar hing ungepflegt herab und ließ den Kopf wie einen Mop erscheinen. Für seine 21 Jahre war Dreyer fett und aufgeschwemmt. Er steckte sich eine Roth-Händle an, hustete hart und heftig und stemmte sich dann stöhnend mit beiden Armen aus dem Sessel. „Ich hol uns mal ‘n Bier.“
Dann saßen sie sich gegenüber. Dreyer trank, sagte nichts. Borkenhagen wußte nicht recht, wie er anfangen sollte. Der stumme Sohn war offenbar noch schwieriger als die redselige Mutter. Nicht mit der Tür ins Haus fallen! ermahnte sich Borkenhagen. Schließlich sagte er:
„Na, Ihre Mutter sagt, Sie sind aus dem Gröbsten raus?“
„Jaaa… Bei mir klingelt’s bald in der Kasse.“
Borkenhagen zündete sich eine Zigarette an. „Die Bilder von Ihrem Großvater, was?“
„Woher wissen Sie denn das?“
„Auch von Ihrer Mutter.“
„Die kann aber auch nie den Sabbel halten… Sind ein paar ganz hübsche Kopien bei. Gauguin, Kandinsky, Renoir, Degas, Cezanne und wie die Burschen alle heißen. Interesse?“
„Mal sehen…“
„Beeilen Sie sich mal – alles Klasse-Kopien, die gehn weg wie warme Semmeln. Viele Typen stehn auf so was.“
„Werden Sie denn noch bei NEDO arbeiten?“
„Klar.“
„Was machen Sie denn mit dem ganzen Geld?“
Dreyer lachte. „… kauf ich mir erst mal Platten…“ Dreyer zählte alle möglichen Schallplatten auf, die er sich anschaffen wollte, und begann die Vorzüge und Schwächen einzelner Interpreten ausführlich zu kommentieren. Jetzt war er nicht mehr stumm, aber er erzählte die falschen Sachen. Zwischendurch holte er Bier nach und schenkte ab und zu Weinbrand ein.
Borkenhagen langweilte sich zunehmend; an relevanten Informationen war hier offenbar nichts zu erwarten. Er begann den Alkohol zu spüren und unterdrückte ein Gähnen. Dreyer goß ihm einen weiteren Weinbrand ein.
Da geschah es.
Vielleicht hing es mit dem Alkohol zusammen –
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