Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen
ist abgebrannt, und alle meine Drucke mit.“
„Abgebrannt?“
„Abgebrannt“, bestätigte Borkenhagen fröhlich.
„Abgebrannt, so… Na, dann schauen Sie sich mal um. Steht alles oben im Atelier.“ Dreyer schien sich mit dem Besuch abgefunden zu haben.
Er ließ Borkenhagen eintreten und wies ihm den Weg zu einer steilen Wendeltreppe, die ins oberste Stockwerk führte. In der dunklen Diele hingen Hirschgeweihe, zerschossene Königsscheiben und alte Landkarten. Borkenhagens Haare streiften einen ausgestopften Bussard. Dreyer ging dicht hinter ihm.
Sie kamen auf einen geräumigen Dachboden, der mit Hilfe dreier großer Luken und eines weithin verglasten hinteren Giebels in ein brauchbares Atelier verwandelt worden war. Eine alte Staffelei stand da; Pinsel, Tuben und Paletten lagen umher; alles ein wenig vergammelt. Und Bilder. Viele, viele Bilder; Leinwände, in unterschiedlicher Technik und Manier mit Ölfarbe bemalt, zumeist auf Keilrahmen, einige gerahmt. Es roch nach Terpentin und Firnis.
„Das meiste sind Kopien“, sagte Dreyer. „Es sind aber auch Originale von Berliner Malern bei. Das waren mal Freunde von meinem Opa – die meisten kennt heute kein Aas mehr.“
Borkenhagen lehnte das erste Gemälde, eine Havellandschaft von einem gewissen G. Breitbarth, gegen sein rechtes Knie und klappte langsam die folgenden nacheinander nach vorn.
Dreyer nahm einen Schnellhefter vom Stuhl und schlug ihn auf. „Mein Großvater war ein großer Korinthenkacker; er hat alles numeriert und Maler und Titel hier aufgeschrieben… Die meisten Kopien hat er selber gemacht.“
„Nummer 37?“
Dreyer suchte einen Augenblick. „Hier: Claude Monet, Terrasse in… kann ich nicht lesen; selbst kopiert 1967 im Metropolitan Museum, New York.“ Er sprach alles so aus, wie es dastand.
„Das gefällt mir schon mal. Und das hier – Nummer 22?“
„Moment mal… Kokoschka, Frauenbildnis 1965 in der Tate Gallery, London, kopiert… Der Alte hatte ‘ne Macke, was? In aller Welt ist er rumgereist, um den Mist da abzumalen, aber zu Weihnachten hat er mir nicht mal ‘n Fahrrad geschenkt… Was wollen Sie denn so lockermachen, wenn ich mal fragen darf?“
„Na, so 200, 300 Mark vielleicht.“
Dreyer musterte ihn mißtrauisch. „So viel?“
„Hmhm. Ich hab ja von der Illustrierten ganz schön was gekriegt.“
„Ach so, ja… Na, Sie können ja noch ein bißchen suchen.“
Borkenhagen suchte weiter. Er stellte die bereits besichtigten Bilder weg; er entdeckte immer neue Stapel. Er fand Degas’ Zwei Tänzerinnen mit Fächer, einen Blumenstrauß von Cezanne, von Gauguin eine Südsee-Szene, Maori-Frau mit Hund, und ein Kinderbildnis von Renoir. Etwas versteckt in einer Nische stieß er auf eine Nolde-Variante, ein Gemälde, das offensichtlich aus Motiven und Ausschnitten echter Bilder zusammengestellt worden war; ferner war da eine schlechte van Gogh-Kopie – nach Dreyers Auskunft der Briefträger Roulin – , eine Kopie von Renoirs Die Brücke der Künste, die nicht von Dreyers Großvater stammte, aber auch ganz gewiß nicht von Renoir, und noch verschiedenes mehr. Dreyer nannte Namen wie Picasso, Chagall, Rembrandt, Frans Hals, Ferdinand Bols, Watteau, Liebermann und Menzel – der fleißige Großvater hatte wirklich alles kopiert, was ihm in die Hände fiel.
„Immer noch nichts gefunden?“ fragte Dreyer und sah auf die Uhr.
Borkenhagen hob die Schultern. „Wer die Wahl hat, hat die Qual!“
Und dann stieß er auf ein Gemälde, das seinem Aufbau und seiner Handschrift nach nur von einem Maler stammen konnte – von Vincent van Gogh. Und richtig, oben in der linken Ecke des Bildes konnte man ganz deutlich die Signatur Vincent erkennen. Die bemalte Leinwand war auf einen groben Keilrahmen gespannt und maß vielleicht einen halben Meter im Quadrat. Vor einer Reihe fugenlos aneinandergefügter japanischer Holzschnitte, die den Fudschijama, ein verschneites Dorf, einen blühenden Kirschbaum und eine hochgewachsene Frau im bunten Kimono zeigten, sah man den schmalen Kopf eines Mädchens, fast jadegrün das Gesicht, tiefschwarz das Haar und maisgelb die Bluse.
Borkenhagen hob das Bild vom Boden hoch, besah es aufmerksam und stellte es dann behutsam auf die Staffelei, um es aus etwa fünf Meter Entfernung zu betrachten. Dreyer stand an der Treppe und zog an einer filterlosen Zigarette.
Nach Sekunden absoluter Stille rief Borkenhagen plötzlich: „Das gefällt mir! Das nehme ich.“
Dreyer drückte seine Zigarette
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