Von den Sternen gekuesst
gegebenen Umständen machte sich Gaspard sogar sehr gut.
Ich nutzte die Gelegenheit, um einen grausigen Bericht über Aztekenkönige aus der Zeit vor Kolumbus zu lesen, die Revenantseher dazu nutzten, frisch erweckte Bardia zu finden. Diese Bardia zwangen sie dann dazu, ihnen als unsterbliche Leibwächter zu dienen, indem sie ihnen damit drohten, ihren noch lebenden Verwandten etwas anzutun. Wenn ein König starb, wurden seine Bardiasklaven vernichtet. Auch wenn ich völlig entsetzt war von dieser verstörenden Geschichte, half sie mir dennoch, unsere derzeitige Situation in einem anderen Licht zu sehen: Es könnte nämlich noch viel schlimmer sein.
Irgendwann erschien Charlotte in der Tür. »Deine Großmutter hat angerufen und darum gebeten, dass du zum Abendessen nach Hause kommst. Jean-Baptiste hat mir aufgetragen, dich zu begleiten«, sagte sie. »Er löchert Vincent immer noch über alles, was mit Violette zu tun hat. Seit heute Morgen haben wir keine weiteren Aktivitäten der Numa beobachten können. Und weil Violette auf weiterführende Informationen von uns wartet, geht JB davon aus, dass es sicher ist, wenn du heute zu Hause übernachtest.«
»Und was ist, wenn …«, setzte ich an und schaute flehend zu Gaspard.
»Wir melden uns umgehend bei dir, sofern wir etwas herausfinden sollten«, versprach er mir.
»Violette hat Vincent drei Tage gegeben.« Endlich ließ ich die Panik zu, die mich bisher immer wieder hatte befallen wollen, wenn ich zu Bran hinübersah, der sich im Schneckentempo durch die vielen Bände voranbewegte. »Das heißt …«
»… uns bleiben noch zwei Tage und elf Stunden. Ja, liebe Kate, mir ist die Dringlichkeit genauso bewusst wie dir«, versicherte mir Gaspard und legte mir dabei tröstend die Hand auf den Arm. »Aber da du uns hier derzeit nicht unterstützen kannst, kannst du den Abend wirklich ebenso gut mit deinen Großeltern verbringen.«
Ich biss die Zähne zusammen und verließ mit Charlotte die Bibliothek. Ich hasste nichts mehr, als mich machtlos zu fühlen. Nicht, dass ich in La Maison gerade von großem Nutzen war, dennoch war die Aussicht, bei meinen Großeltern herumzusitzen, nicht unbedingt hilfreicher.
Während ich mir den Mantel anzog, kam mir plötzlich in den Sinn, dass Papy ja vielleicht einmal etwas über Verkörperlichung gelesen haben könnte, er beschäftigte sich ja liebend gern mit Themen wie diesem. Der Gedanke hob meine Stimmung, weshalb ich ohne weitere Diskussionen aufbrach.
Als wir vom Hof auf die Straße traten und die Richtung zu meinem Zuhause einschlugen, drehte Charlotte sich kurz um und winkte zwei Gestalten, die im Schatten am Ende der Straße positioniert waren. Zwei Bardia setzten sich in Bewegung und bildeten eine Blockade hinter uns. JB hielt sich peinlich genau an sein Versprechen, für meine Sicherheit zu sorgen.
Als wir die Straße überquerten, donnerten ein paar Motorradfahrer gefährlich nah an uns vorbei. Ich hakte mich bei Charlotte unter und zog sie nah am mich heran.
»Und, was hältst du von dieser Sache mit der Verkörperlichung?«, fragte sie. »Das ganze Haus diskutiert eifrig darüber. Meinst du, da ist was dran?«
»Ich sag dir eins: Selbst wenn nur eine mikroskopisch kleine Chance besteht, dass da was dran ist, dann werde ich höchstpersönlich auf jede erdenkliche Weise ausprobieren, ob dieses Ritual funktioniert.«
Sie nickte. »Hoffentlich steht etwas Nützliches in den Büchern des guérisseurs .«
»Wenn nicht … Oder selbst wenn … Ich werde trotzdem auf eigene Faust weitersuchen und mal sehen, ob ich auch etwas rausfinden kann. Du weißt doch, dass mein Großvater sehr belesen ist, besonders alles Mystische hat es ihm angetan. Er hatte ja sogar bereits ein paar Texte über Revenants in den Händen.«
»Hmm …«, machte sie zweifelnd.
Wieso glaubt eigentlich keiner von ihnen, dass auch Sterbliche den Bardia helfen können? , dachte ich frustriert und wechselte das Thema. »Und, wie ist es, wieder in La Maison zu sein? Was Ambrose angeht, meine ich.« Wir kreuzten den geschäftigen Boulevard Raspail. Es war die dritte Februarwoche und die Schaufenster warben eifrig für leichte Sommermode, von der ich mir gerade nicht im Traum vorstellen konnte, sie zu tragen. Ich schlang den Mantel enger um mich. Vor einem der Schaufenster blieben wir stehen.
»Das solltest du echt mal anprobieren«, sagte Charlotte und nickte zu einem kurzen untaillierten Kleid im Dessousstil, welches das Mannequin über einer
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