Von der Liebe, linken Händen und der Angst vor leeren Einkaufskörben
komme noch darauf zurück, nehmt erst mal ein Stück Zucker.
Inzwischen sind wir Hunderttausende, das ist phantastisch. Wir können Texte von Hand vervielfältigen,können wie Desperados, wie Apachen die offiziellen Publikationswege umgehen, können Pamphlete unter der Hand weiterreichen, können uns eilig hingekritzelte Botschaften persönlich zustecken, einfach toll, wir können Ideen schmuggeln, im Verborgenen die Abwicklung des Knäuels betreiben, so wie mein Vorfahr Delphin sein Napoleon der Dritte ist ein Idiot unter die Leute brachte. Er arbeitete für die Wiederkehr der Republik, wir, wir engagieren uns für das Ende aller Probleme in der Welt, gewiss, das ist eine andere Größenordnung, aber bitte, verachtet mir nicht die Republik, Delphin ist mein Ahn, dreht eure Zunge siebenmal, ihr wisst schon.
In meiner Familie war man immer Revolutionär. Eine Sippe, ihr erinnert euch, von normannischen Bauern, die seit Generationen fleißig Rinder züchten und Leinen weben (es gab auch ein paar Priester, aber das liegt lange zurück, zu der Zeit wurde man so etwas, und es geht euch überhaupt nichts an, hört auf, in meinen Archiven herumzuschnüffeln, kümmert euch lieber um eure Napfschnecken). Wir waren niemals Krieger. Kein Einziger, der auf dem Feld der Ehre gefallen wäre, nie. So was schmiedet eine eiserne Familienmoral. George ist ein Psychopath, da habt ihr den Salat.
Ich greife mal kurz vor. Ich sagte nicht »Feiglinge«, ich sagte »keine Krieger«. Schon wieder ertappe ich euch dabei, wie ihr euch ohne euren FW herumtreibt und gedankenlos irgendwelche blöden Vorurteile nachbetet. Mit solchen Vorurteilen und Ängsten zieht man in den Krieg. Ja, genau. Wenn ihr erst mal begriffen habt ‒ bleibt ruhig, der Moment wird kommen ‒ , dass ungeheuer viel Mut dazu gehört, müßig auf seinem Bett liegen zu bleiben und nicht in den Krieg zu ziehen, dann habt ihr einen Riesenschritt getan. Kein Geringerer als Blaise Pascal hat geschrieben: Ich habe herausgefunden, dass alles Unglück des Menschen allein daher rührt, dass er es nicht vermag, ruhig in einem Zimmer zu bleiben. Erinnert ihr euch an das Konzept des Nichtstuns, das ich deutlich sichtbar auf dem Kamin liegen gelassen hatte? Und Blaise Pascal, lasst euch das gesagt sein, war alles andere als ein Idiot, dreht eure Zunge siebenmal. Es ist also schon eine verdammt lange Zeit her, dass einer der Schlüssel menschlichen Unglücks, und nicht der geringste, entdeckt wurde. Natürlich gibt es noch andere, die Blaise nicht gesehen hat, aber seien wir nicht kleinlich, es ist schon beachtlich, dass er diesen gefunden hat. Ich sage Blaise, denn er ist für mich ein Freund. Unlängst waren wir beide ‒ falls Blaise sich überhaupt entspannen kann ‒ zusammenim Café einen Kaffee trinken (ich sehe, ihr habt mir dieses Stilproblem noch immer nicht gelöst, worum ich euch höflich gebeten hatte, schade, doch lassen wir das jetzt, wir kommen gerade gut in Fahrt). Und Blaise hat mir bestätigt, wie bedeutsam das Konzept des Nichtstuns ist.
Ich greife kurz vor. Ich entsinne mich sehr genau, dass ich euch erklärt, ja mehr noch, bewiesen habe, dass es nach dem Tod nichts gibt. Glaubt ihr, ich verliere meinen Faden, oder was? Ihr spottet, ihr wollt meine Nerven strapazieren. Diese kleine Unterhaltung mit Blaise irritiert euch, was? Seht an, wie engstirnig ihr seid, lockert euch mal ein bisschen, verdammt, ihr erstickt noch an euren Grundsätzen. Ich habe nie gesagt, dass Blaise seinen Tod überlebt hätte. Ich habe nur gesagt, dass ich mit ihm einen Kaffee trinken war. Was nicht dasselbe ist. Beides hat sogar überhaupt nichts miteinander zu tun. Ich wäre heftig versucht, euch zu erklären warum, aber die Zeit drängt, sie ist unser eiserner Gebieter, wir werden das später klären. Vielleicht.
Wie? Euer FW ist eingerostet, während er im Wasser gelegen hat? Das will ich sehen.
Nein, alles in Ordnung, ihr seid noch mal glimpflich davongekommen. Reinigt ihn mit einer Metallbürste,anschließend geht ihr mit Schleifpapier drüber, in vertikaler wie in horizontaler Richtung.
Übrigens, ich habe nachgesehen. Ich habe den Ausdruck »Entspannt euch« mitnichten besagtem Freund gestohlen. Ich habe sein gesamtes Werk durchforstet: nichts, nicht eine ähnliche Formulierung. Das ist schon der Hammer: Da habe ich mich mit dem Ehrgeiz meiner Redlichkeit schon eines Verbrechens bezichtigt, das ich nicht mal begangen habe. So weit kommt’s noch.
Die Geschichte passiert nachts
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