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Von der Liebe verschlungen

Von der Liebe verschlungen

Titel: Von der Liebe verschlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delilah S. Dawson
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stand der Wachmann vor dem Gemälde und wischte sich eine Bludträne aus dem Gesicht.
    Schweigend gingen wir langsam über den Flur. Casper warf kurze Blicke durch die anderen Türen und betrachtete die Gemälde von Olgha, Alex und meinen Eltern, eingefangen in einem seltenen und lange geplanten gemeinsamen Augenblick, steif und hölzern, trotz des schmeichelnden Pinsels des Künstlers. Eine Unmenge winziger Kristallphiolen bedeckte jede ebene Fläche im Saal: In jeder befand sich eine Bludträne, der förmliche Ausdruck von Trauer. Schmerzerfüllt schloss ich die Augen. Ich hätte eine Phiole mitbringen und selbst eine Träne hier ablegen sollen; ein Tropfen königliches Blud unter tausenden.
    Casper drückte meinen Arm, als könne er meine Gedanken lesen. »Wir werden dieser Schlampe in den Hintern treten«, sagte er.
    Ich erwiderte seine Geste und antwortete: »Oh ja, das werden wir.«

32.
    D er Nachmittag verging in einem süßen Nebel gestohlenen Glücks. Wir stöberten in Geschäften, schlenderten über Straßen, die von klingelnden Schneeglöckchen gesäumt waren, und besuchten die weltgrößte Sammlung an Bludgeschöpfen im Zoo von Moskovia, wo wir über die Kamele lachten. Wir küssten uns im höchsten Glockenturm der Basilika von Aztarte, und ich saß in einem Fenster und ließ mein Haar im Wind rascheln, der nach dem kommenden Schnee roch. Ich stellte fest, dass ich nicht länger unter Höhenangst litt. Danach stellte sich Casper ins Fenster, beugte sich hinaus über die ganze Stadt und brüllte etwas Barbarisches hinaus, das sich ganz ähnlich wie »Yawp« anhörte. Es machte ihm so viel Freude, dass ich es auf bizarre Weise liebenswert fand.
    Ich erinnerte mich an Verushas Lieblingsleckerei, machte kurz Halt bei einem Verkäufer im Frankonischen Viertel und kaufte eine bemalte Schachtel mit gezuckerter Leber. Was waren schon ein paar Kupferlinge mehr, wenn ich schon bald entweder tot oder die regierende Monarchin sein würde? Und zu sehen, wie ihr Gesicht sich aufhellte, als wir durch die Tür des Pinkiesalons traten, war es wert.
    »Ach, Lieblienk, du weißt es noch!« Sie schnappte sich die Schachtel, steckte sich ein Scheibchen in den Mund und nuckelte selig daran, während sie uns in ihr Wohnzimmer scheuchte. Casper ging auf den Diwan zu, aber sie zupfte an seinem Jackett und zog ihn zum Fenster in die letzten Strahlen der Nachmittagssonne. Dann ging sie um ihn herum und musterte ihn mit zusammengekniffenen alten Augen. »Dann sage mir. War es so schrecklich, wie man sagt?«
    Casper schaffte es, keine Miene zu verziehen, und ich neigte lediglich den Kopf und sagte: »Wir haben es geschafft und überlebt.«
    Verusha knuffte Casper in die Rippen, und er stand noch aufrechter. Sie ließ sein Haar durch ihre Klauen gleiten und glitt mit einer Hand über seinen Arm und drückte seine Muskeln. Dann hielt sie seine Finger ins Licht und sagte: »Interessant. Es geht schnell voran. Aber ich kann sie an dir riechen, die Reste deiner Menschlichkeit. Du brauchst ein gründliches Bad.«
    »Noch mal so eine Wäsche?« Er verzog das Gesicht und warf einen Blick auf die Tür zum Salon.
    Verusha wich zurück und schlug gekränkt eine Hand vor die Brust. »Ein Bludmann? In meinem Pinkiesalon? Wie obszön.«
    »Da könnten wir dich ebenso gut nach draußen zerren zum Trog bei den Bludstuten«, fügte ich mit einem Grinsen hinzu. Dann stibitzte ich mir ein Stückchen Leber aus der offenen Schachtel und genoss den herben Geschmack sauren Zuckers mit dem vollmundigen Hauch von Blut.
    »Dann bin ich jetzt einfach ganz plötzlich … anders für euch?«, fragte Casper. Seine Miene war wachsam, eine seltsame Mischung aus Zorn und Nachdenklichkeit.
    »Mein Junge, du hast dich verwandelt – von der Beute zum Jäger«, antwortete Verusha und steckte sich noch ein Stück ihrer Nascherei in den Mund. »Es geschieht nicht oft, dass jemand über Nacht seine Spezies ändert. Wir sollten feiern. Hungrig?«
    Er nickte wortlos, als schmerze es ihn, das zuzugeben. Verusha öffnete den Warmhalteschrank, der auf einem Regal leise vor sich hin summte, und holte zwei Phiolen mit Blut heraus. Dann nahm sie zwei Teetassen, schenkte für uns ein und servierte uns die Tassen mit einem leichten Kopfneigen in seine Richtung und einer tiefen Verbeugung an mich in gebührender Ehrerbietung.
    Casper ließ sich stocksteif am Rande des Sofas nieder. Er nahm einen kleinen Schluck Blut, zaghaft und sehr konzentriert, als würde er jedes Mal, wenn er

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